Donnerstag, 14. Februar 2013

ein philosophisches Sci-fi: Das Nazaret Project


Verschwörungstheorien, okkulte Pläne von Menschen, die das Schicksal des Planeten in ihren Händen halten, ideologische Kriege etc. sind beliebte Themen in der Literatur unserer Zeit. Das Verborgene ist geheimnissvoll und spannend. Und wenn es irgendwie mit der aktuellen kritischen weltpolitischen Situation im Zusammenhang steht, ist es noch interessanter. Wir sind politische Wesen, und wenn die Kunst neben der reinen Unterhaltung noch Stoff zum nachdenken anbietet um die Lebensqualität zu verbessern, hat man noch einen Grund mehr, ein Buch zu mögen. Irgendwie habe ich dieses „Nazaret Projekt“ gemocht, und ich denke nicht nur, weil es eine interessante Geschichte ist, die bis zum Schluss die Spannung hält,  oder weil es ziemlich unkonventionell geschrieben ist. Ich habe es geliebt weil es indirekt zu mir gesprochen hat, als wäre es ein weiser Freund, der mir seine Lebensessenz mitteilen wollte. Das was er –nach langer Erfahrung- als tiefste Ursache für das Leid in der Welt hält. Während ich dieses Buch las, wusste ich (anders als beim „Da Vinci Code“ oder der „Illuminatus-Trilogie“, denn Nazaret-Projekt gehört in dieses Genre), dass es nicht nur um eine unterhaltsame Geschichte geht. In ihrem „spirit-of-the-seventies-style“ wirkt sie ein bisschen psychedelisch, ein bisschen esoterisch, auf jeden Fall sehr rebellisch.
Hanfs Protagonisten scheinen keine echten Personen zu sein. Er beschäftigt sich nicht mit ihrer Seele, ihren Gefühlen und ihren Beziehungen als Individuen. Sie haben auch oft unmögliche, symbolische Namen und sind Marionetten in einem höheren politischen Spiel. Genau dieses Spiel ist der eigentliche Protagonist des Romans. Letzten Endes ist es das Thema der Religionen, das Heinrich Hanf am Herzen liegt, das vielleicht ein Teil der Verantwortung für die politischen Probleme der Welt trägt und nicht die Geschichten von bestimmten fiktiven Individuen, Protagonisten von unzähligen andere Romane. Aber warum ist Heinrich Hanf so gleichgültig über seine Menschen? weil er einfach so ist! Anders als die anderen. Sein Roman ist eine Geschichte der Ideen, sie sind die Protagonisten. Mit Spannung bis zum letzten Satz führt uns der Autor durch den Plot, aber nebenbei verstehen wir langsam, dass es hier um Philosophie (Liebe der Weisheit) geht. Dazu trägt auch die originelle Gliederung der Kapitel bei. Die Handlung wechselt wie in einem Film von einem Ort zum anderen, vom Westen zum Osten, vom Norden zum Süden, mit einer Parade der unterschiedlichsten Personen, Mythologien, okkulten Organisationen und Religionsführer. Zwischendurch immer wieder ein kurzes Kapitel mit einer Referenz an die Tage der Schöpfung (Genesis genannt), wie Intermezzi zwischen den verschiedenen Akten eines Dramas, quasi eine Meditation, eine ruhige Pause des Nachdenkens, die mich irgendwie an die langatmigen Momente im Weltall in dem Film „Oddysee 2001“ erinnern. Ein transzendentaler Kommentar des Autors zur Handlung, als wäre alles schon von Gott geplant, als wäre alles was wir erleben nur ein Spiel, das er mit seiner Schöpfung treibt.
Aber am Ende und nur in den allerletzten Sätzen verstehen wir plötzlich und unerwartet, worum es wirklich geht. Wie ein Kaltbad, ernüchternd und kathartisch, kommen ein paar Zeilen in einer starker Sprache, die den Leser mit einem komisches Gefühl des „Unvollendeten“ zurück lassen. War das Absicht? Warum fehlt ein letztes Kapitel mit dem siebten Tag der Genesis? Soll etwa noch ein zweiter Teil des „Nazaret Projektes“ erscheinen, weil der Sonntag der Schöpfung nicht mehr erwähnt wird? Über den Tag, an dem der Herr geruht hat, gibt es offenbar nichts mehr zu schreiben. Der Mensch ist frei, weiter seine eigene Geschichte zu schreiben, er ist auch frei sein Leben selbst zu gestalten, und mehr hat Hanf nicht zu sagen: In diesem letzten Abschnitt ist alles gesagt, kalt und streng. Der Rest ist Geschichte, die wir selbst schreiben.
Heinrich Hanf ist zweifellos ein Philosoph. Er liebt es, über den Sinn des Lebens nachzudenken, aber er scheint auch ein realistischer Menschenkenner zu sein. Fern von jedem romantischen Ideal des Supermanns, beschreibt er die menschlichen Schwächen ohne jedes Gefühlsengagement mit leisem Zynismus, aber doch mit viel Humor. Sein Mensch lässt sich leicht von Ideologien manipulieren und für eine absurde Idee kann er sogar Atomkriege führen. Dessen Schicksal als Individuum liegt in den Händen von Priestern und Politikern. Mit seinem satirischen, „Quasi-Komik-Stil" (eben „illuminatus-trilogie“ ähnlich) klagt er gegen die Allmacht der Religion über das menschliche Bewusstsein. Seine Kritik übt er mit der Kraft des Humors, dieser zynische Philosoph, Hanf. Man lacht über die paranoiden Charaktere, die sich selbst so ernst nehmen, den Berlusconi ähnlichen Protagonisten, über den fanatischen Priester, die devote, an ihre Berufung glaubende Klosternonne, und auch über die Kinderfigur des neuen Messias lacht man, obwohl rund um diese Protagonisten der Terror einer apokalyptischen Zeit herrscht, nämlich der heutigen.
Das Buch wurde schon vor etlichen Jahren geschrieben, das sieht der Leser sofort. Die Terror-Angriffe auf die Zwillingstürme des Worldtradecenters sind die initiale Inspirationsquelle für den Schriftsteller. Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seitdem er es verfasst hat, aber dass es erst jetzt erscheint, im Dezember 2012, ist vielleicht nicht zufällig: Das berühmte Ende der Geschichte laut dem Maja Kalender ...
Also, hier haben wir ein philosophisches Traktat und nicht nur eine spannende Science-fiction Geschichte mit religiösen Inspiration. Auf beiden Gebieten trotzdem beweist Hanf sein Talent. Er hat einen Haufen Einfälle und seine Fantasie kennt fast keine Grenzen. Schon die zentrale Idee, den Jesus zu klonen, um die Wiedererscheinung des Erlösers getreu den apokalyptischen Texten zu ermöglichen, ist interessant. Das und andere Elemente des Plots weisen auf gute wissenschaftliche Kenntnisse hin, deshalb findet der Roman seinen guten Platz in der Science-Fiction-Literatur. Ich finde es auf jedem Fall bewundernswert, wie er Wissenschaft mit Spiritualität verbindet. Hanf der Wissenschaftler verneint die Existenz Gottes nicht, auch wenn er die Spiele der Religionen ablehnt und belächelt, weil sie feindlich gegenüber der Wissenschaft und der echten Spiritualität sind.
Aber diese Mischung aus Science-Fiction und geistigem Werk ist nicht das einzige Ungewöhnliche und Interessante in diesem Buch. Hanf ist kein Autor der leichten Muse, auch wenn er sie so gerne vertritt. Seine Bücher sind nicht pure Belletristik, sie sind echte Literatur. Er erzählt nicht nur in Wörtern. Hinter den Zeilen gibt es etwas, das man in einem Fantasy- oder Science-Fiction-Roman nicht erwartet. Da ist Poesie, die Kunst mit der Sprache so umzugehen, dass eine Magie entsteht, welche die Seele berührt. Die Beschreibung einer Landschaft oder einer Bewegung sind mit einer Aura umgegeben, die ich nicht anders nennen kann als „Schönheit“. Es geht um die Liebe zur Kraft (oft auch eine musikalische Kraft) der Wörter. Es ist etwas, dass einen Meister der Sprache auszeichnet und mit dem er seine Leser in die Bahnen paralleler Welten einweiht. Man lässt sich aber gerne von ihm führen. Nur als kleines Beispiel, wie er die Schönheit und Gewalt des grauen Hafens von Stockholm in einem einzigen Satz beschreibt:
„Schiffsmasten und qualmende Schlote, stinkende Dieselaggregate, mächtige Kranausleger, endlose, bunte Reihen gestapelter Container, vom nächtlichen Fangzug zurückkehrende Fischerboote, emsige Bugsierschlepper, riesige Lastwagen auf den Kais und tief im Wasser liegende Frachtschiffe, die salzige Seeluft gleichermaßen erfüllt mit dem Geruch von Wehmut und Abschied, ungewisser Ferne, wilder Freiheit und Abenteuer, Dieselöl, Fisch, Verwesung und Wiederkehr; Sie war erfüllt von einer Kakophonie aus unterschwelligem Hämmern, Knattern, Kreischen und Dröhnen und über all dem die höhnischen und aggressiven Schreie ewig kreisender und ewig hungriger Seemöven.“ Das nenne ich Kunst.
Eine beeindruckende Sprache hat dieser geduldige Handwerker der Schrift, die wahrscheinlich sehr schön auch in einem realistischeren, vielleicht historischen Roman passen würde.
Ich bin neugierig darauf, die nächsten Arbeiten des Schriftstellers zu lesen. Ich habe nämlich eine Frage. Ist es sein Markenzeichen, sich nicht in die Emotionen seiner Protagonisten zu vertiefen, sie nur als Objekte in einer philosophischen Studie zu beobachten? Von da oben gesehen, aus der Sicht der Science-Fiction, was eigentlich ist der Mensch mit seinen kleinen Emotionen, seinen kurzen Liebesgeschichten, Wutanfällen und Leiden? Alles das ist vielleicht unwichtig, und das einzige was bleibt ist das Ergebnis unseren Taten in dieser Welt. Ist Hanf der totale Leugner einer unnötigen Romantik, deren übertriebene Gefühle Generationen von Künstlern in den Tod geführt hat, genau wie die fanatischen Anhänger einer Religion? Wahrscheinlich folgt die zynische, emotionsferne Erzählweise Hanfs konsequent seiner persönlichen Weltanschaung. Emotionalität macht Menschen manipulierbar. Klar und frei von jeder Emotion ist die Erzählung von Hanf, ja, wahrscheinlich ist das eines seiner Merkmale. Eine romantische Liebesgeschichte erwartet man in seinem Roman vergeblich (die letztlich auch in einer Science-Fiktion zu finden ist). Der unkonventionelle Autor wird auf solche Leser-(besonders Frauen) anziehende Tricks verzichten. Trotzdem und letztendlich schreibt Hanf über die Liebe, ja, es geht ihm eigentlich um die Liebe in seinem Buch. Die Liebe, von der jeder echte spirituelle Meister spricht und die durch jegliche Religion korrumpiert wird. Hanfs Liebe zum Menschen ist am Ende des Buches zu spüren trotz der Satire.
„Liebe verankert Wissen“ manifestiert einer der Protagonisten der Geschichte, ein spiritueller Meister, und außerdem der Einzige in dieser Geschichte, den die kaustische Schrift von Hanf ungeschoren lässt. Und so verblieb ich eigentlich nicht unzufrieden, als das Buch plötzlich ohne einen siebten Tag der Genesis endete. Was ich erfahren musste, habe ich erfahren. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Aber wenn ein Nazaret Projekt Nummer Zwei folgen sollte, werde ich es gespannt erwarten und mit Freude lesen.

Die "Piazza Grande" der Pasinger Fabrik


Die Pasinger Fabrik ist einer der erfolgreichsten alternativen kulturellen Treffpunkte der Stadt, weil sie einen Gegenpol zu den großen Bühnen und Konzerthäusern mit ihren weltberühmten Standards bildet, in Punkto Programmgestaltung aber gleichzeitig dem hohen Niveau der Metropole ebenso gerecht wird. Dieses ehemalige Fabrikgebäude bietet unter einem Dach mehrere schöne, zweckmäßige Räumlichkeiten bzw. Bühnen und ist darüber hinaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch noch ideal und schnell erreichbar.
In der Pasinger Fabrik läuft mit Erfolg seit mehr als zehn Jahren die kleinste Oper der Stadt,  die schon die „Startrampe“ für mehrere ausgezeichnete Künstler war. Es scheint, dass der Intendant dieser städtischen Einrichtung ein gutes Gespür für künstlerisches Potenzial hat und Weitblick besitzt.
Den weiteren Garant für Erfolg bietet ein aufmerksames und großzügiges Publikum. Es ist ein offenes, freundliches und genießerisches Publikum, das die Pasinger Fabrik treu besucht. Ebenso wie die kleinste Opernbühne Münchens ist auch die angrenzende, kleinere Bühne der Pasinger Fabrik Anziehungspunkt für ein besonderes Publikum, für Kenner und Liebhaber von Musik, Theater und Tanz jeglicher Couleur.
Die sogenannte „Kleine Bühne“ in der Pasinger Fabrik (es gibt nämlich zwei) ist tatsächlich klein und wirkt mit nur knapp hundert Plätzen gemütlich und intim. Die warme Atmosphäre erinnert an die Black Box im Gasteig oder das i-Camp in Giesing. In so einem Raum kann die Magie der Beleuchtung und anderer technischer Effekte unmittelbar und höchst eindrucksvoll zur Wirkung kommen.
Eben diese Bühne war deshalb ideal für die Gruppe „Piazza Grande“, ein feines Musik-Quartett, das dort am Abend des 30. Januars mit einem bunt gemischten Repertoire Italienischer Musik zwischen Jazz und Volksmusik aufwartete. Unterstützt von den dezenten, geschmackvollen Licht-Effekten des Bühnentechnikers, der sein Metier offensichtlich liebt und wohlversteht, entfalteten die langen, teilweise jazzigen Improvisationen der Gruppe eine nahezu magische Wirkung.
Non plus ultra; Der Saal war an jenem Abend voll. Die Künstler lieben es wenn ein Theater ausverkauft ist, weil eine gute Atmosphäre während des Konzertes dann meist garantiert ist. Zahlreich anwesendes Publikum spricht zum Künstler, sagt:  "Ja, ich bin deinetwegen hier, bring mich zum Lachen und zum Weinen", die letzten leeren Plätze füllen sich, aller Augen sind erwartungsvoll auf die Bühne gerichtet, die Magie wird spürbar, das großzügige Spiel des Gebens und Nehmens zwischen Künstler und seinen Zuhörern beginnt.
Bemerkenswert war, wie wohl sich dieses schöne Publikum an jenem Abend offensichtlich gefühlt hat. Noch bevor das Konzert begann, hatte sich bereits eine fröhliche, altersmäßig sehr gemischte Gesellschaft im Restaurant versammelt und gönnte sich ein Glas Rotwein, um sich auf südliche italienische Songs im winterlichen München einzustimmen.
Das Publikum liebt es, wahrgenommen zu werden, selbst ein Protagonist zu sein. Und "Piazza-Grande" ist nicht nur ein Quartett das Musik macht, sondern
ein echter „Grosser Platz“ wo alle mitmachen können wie auf einer italienischen Piazza, wo die Musikanten einfach die richtige Atmosphäre zum „sich freuen“ schaffen.
Sie ist schwer zu katalogisieren, diese Musikergruppe, und ich denke, die Künstler wollen auch gar nicht in eine Schublade gesteckt werden. Sie machen Musik, aber eben auch Theater (übrigens erstaunlich, wie gut das Münchner Publikum die
Gags auf italienisch verstanden und darauf reagiert hat). Sie spielen
italienisch, aber doch deutsch. Sie machen Jazz aber doch auch Folk
und Rock. Sie machen Cover aber auch höchst interessante Eigen-Kompositionen. Sie sind Profis, aber sie wissen auch die Talente eines Laien zu schätzen und
zu nutzen. (Ich erkläre später was ich damit meine).
Wer an einem Abend mit Piazza Grande teilnimmt, der sollte keine Erwartungen haben, außer, dass diese Aufführung wie immer sehr spannend und unberechenbar sein wird. Und sehr lustig und genießbar obendrein, also genauso wie man sich eine echte „Notte Italiana" vorstellt. Empfehlenswert für jeden, der in „buona compagnia“ kommen möchte, und wer einsam ist, wird sich schnell in Gesellschaft von guten Freunden fühlen.
Die Band besteht aus drei Instrumentalisten, hervorragende Musiker, die sich um die Sängerin und Frontfrau Fabiola Schiavulli gruppieren. Einerseits wird ein anspruchsvolles Programm geboten, das die lange, gründliche Vorbereitung erahnen lässt, andererseits aber ist die Gruppe offen und jederzeit gut für spontane Improvisationen, für meist sehr lustige, unerwartete Intermezzi wie ein plötzliches theatralisches Auftreten der Sängerin, auf das selbst ihre Kollegen auf der Bühne sichtlich nicht vorbereitet sind.
„Piazza Grande“ erinnert an eine kleine Truppe der „Comedia dell´arte“ wie es in alten Zeiten vom Dorf zu Dorf im italienischen Süden reisten und Theater und Musik machten. Fabiola Schiavulli ist eine vielseitige Kommödiantin, die ein Publikum einfach nur mögen kann. Sie
schont sich nicht und hat eine gute Ausstrahlung, sie ist eine charismatische
Persönlichkeit und ihr nicht unbedingt schön zu nennendes Gesicht kann sich auf faszinierende Weise verwandeln. Fabiola hat jede Menge Einfälle und Ideen, die für eine spannende Show sorgen und sie ist selbst dann noch lustig, wenn sie über traurige Themen singt (was sehr typisch Italienisch ist).
Was ihre Stimme betrifft, so gehört sie zur Kategorie „cantautore/cantautrice“. Cantautori, also singende Autoren sind übrigens alle vier Musiker der Gruppe.  Wolfgang Obrecht, Heinz Müller und Thomas Korpiun spielen gelegentlich auch in anderen Gruppen, sie schreiben Musik und
Texte, komponieren. Heinz Müller ist ein Schriftsteller und schreibt unter Anderem auch Texte für Lieder und Musicals. Die Texte für Piazza Grande schreibt die Sängerin selbst, die Cantautrice Fabiola Schiavulli. Ihre Inspiration und Thematik bezieht sie aus dem alltäglichen Leben der einfachen Menschen, ob es die Italiener des tiefen Südens sind, oder ihre Landsleute, die hier in München leben und längst integriert sind, ohne dabei ihre Wurzeln verloren zu haben. Der sympathische bayerische Italiener wird so treffend und lustig dargestellt, ohne dabei kitschig oder geschmacklos zu werden. Für den, der kein Italienisch versteht, erklärt Fabiola vor jedem neuen Lied immer ein bisschen den Texte auf deutsch, absichtlich mit ausgeprägt italienischem Akzent, was sehr erheiternd auf das Publikum wirkt. Sie erwarten es fast, nach jedem „Stuck“ diese kleine Pantomime wieder zu erleben. Wolfgang singt am Ende eine eigene Version des „O Sole mio“ in italienisch gefärbtem Deutsch, als wäre er ein Italiener, der sich nach seiner Heimat sehnt.
Die Texte sind klug, lustig und manchmal leicht politisch, was das Ganze ein bisschen kabaretmäßig macht. Aber auch intim können sie sein: Einer der Liedertexte ist inspiriert durch die Tochter der Sängerin, Lebensweisheiten einer Mutter für ihre Tochter („bussa piano, parla forte“), ein anderes Lied spricht von einem erwachsenen Mann, der immer noch bei seiner Mutter wohnt, weil er nicht arbeiten will, ein Song erzählt von einem Mann, der zu seiner Frau mit Rosen und Erdbeeren kommt, um seine Untreue zu verbergen, ein weiteres Lied beschreibt jene gelangweilten Schwätzer, die abends vor ihren Häusern auf der Strasse sitzen und über die Vorbeigehenden tuscheln oder lästern.... Momente des menschlichen Lebens, rund um Liebe, Schmerz und Sehnsucht, präsentiert mit viel Humor und Brio, genau so, wie es die Italiener kennen (die Münchner auch, weil sie alle heimliche Italiener sind).
Das Publikum hat von Herzen mitgelacht, mitgesungen, applaudiert und am Ende sich ein paar Zugaben gewünscht. Der Erfolg des Abends war überwältigend. Es gab Momente, die sich jeder Künstler wünscht und die Piazza Grande für ihren außergewöhnlichen Charakter, die Wärme und die Großzügigkeit verdient hat. Alle vier Musiker haben mehrere „Rollen“ gespielt. Wolfgang Obrecht, die „musikalische Seele“ der Gruppe, der außer Keyboard (ein Spitzen-Jazzpianist) und Melodika auch atemberaubend Akkordeon spielt. Am Ende singt er sogar solo, ohne die typisch italienischen „Acuti“ (hohe Töne) am Ende auszusparen. Und dabei bleibt er durchaus sehr intoniert! Man hat den Eindruck, in seinen Adern fließt Musik anstatt Blut, er scheint eine Art kleiner Mozart zu sein, dieser Wolfgang Obrecht.
Heinz Müller, spielt - außer einem perfekt getimten Kontrabass - auch Gitarre bei mehreren Stücken und Thomas spielt nicht nur Schlagzeug, sondern nimmt am Ende auch die Ukulele in die Hand. Alle drei Begleiter der Fabiola singen oft im Chor. Aber
Auch Fabiola ist nicht weniger vielseitig, nur auf einer anderen Ebene, nämlich der theatralischen Darstellung. Einige im Publikum bezeichneten sie schon als eine echte „Rampensau“. Was mir als Stimmenspezialistin auffällt, ist, dass ihre Stimme eher im Text als in der Melodie ihre Blüte findet. Nicht dass ihre Stimme unwichtig wäre, sondern weil das Temperament und ihre Ausdruckskraft eher theatralisch ist. Fabiola hat eine dunkle, ausdrucksvolle Stimme, die dem Text Seele verleiht, und selbst die melodischen Passagen wirken, als wären sie eher gesprochen als gesungen. Trotzdem ist es eine gute Stimme, die mich manchmal an Georgio Strehlers Milva erinnert. Eine tiefe Alto-Stimme, die direkt aus dem Bauch kommt, bisschen intellektuell, ein bisschen verrucht (Schimpfworte werden nicht gespart), ein bisschen verrückt (in ein Megaphon als schimpfende Mutter schreien), sarkastisch aber auch sexy, also eine echte Kommödiantin, genauso wie ihre Landsleute Sofia Loren und Gina Lolobridgida, die lustige Showwomen waren.
Das Potenzial dieser Gruppe empfinde ich als enorm, da sie erst seit einigen Jahren in dieser Form auftritt. Die Band ist so alternativ, so anders als alles bisher Gehörte (in der großen Menge der italienischen Bands) und das garantiert einfach einen spannenden und interessanten Abend, der nicht nur bloße Unterhaltung, sondern auch echte Emotionen vermittelt. Sie spielen berühmte italienische Hits, aber auch eigene Lieder und bieten dabei Musik und Theater gleichzeitig. Jazz-, Blues-, und sogar auch Rap-Fans finden hier etwas für sich. Deutsche und Italienische Kultur mischen sich wie alles andere, jeder findet sich selbst dabei. Und alles was sie machen ist authentisch, mit gut ausgesuchten Stil und Respekt für die Musik. Selbst die traditionellen Stücke aus dem italienischen Süden, die Tarantelle oder Pizzicche (ein traditioneller Tanz aus Apulien, der Heimat der Sängerin) sind originell gespielt, mit ungewöhnlicher Begleitung, denn die Instrumentalisierung ist nicht pop-standartisiert.
Piazza-Grande bietet tatsächlich Musik auf höchstem Niveau, ein Niveau das wirklich auf eine Theater- oder Konzertbühne gehört, nicht nur in ein Restaurant, einen Club oder auf einen Dorfplatz, auch wenn der Band-Name das nahe legt und die Musiker „musica della strada“ spielen. Aber es war immer so: die echten Musiker sind eigentlich die Strassenmusikanten, die wie Zigeuner bescheiden aber mit Brio auf dem Marktplatz spielen. A propos, eine Geige würde zu der Gruppe wirklich ausgezeichnet passen! (Wer weiß, ob an einem der nächsten Abend nicht einer der Musiker auch zu diesem Instrument greift.)
Wie es offensichtlich ist, war die Rezensentin von dem Konzert der deutsch-italienischen Gruppe begeistert und wird gerne deren Entwicklung weiterfolgen. Weil ich das Potential der Gruppe hoch schätze würde ich mich freuen wenn sie sich weiter entfalten. Aus diesem Grunde hätte ich einige persönliche Ratschläge, die aus meine persönlichen Erfahrung als Musikerin stammen.  
Dass ein  Künstler charismatisch ist, kann auch zweischneidig sein. Die Präsenz von Talent und die seltene Gabe des Charismas, die einen so einfach und ohne große Mühe zum Liebling des Publikums macht, hat manchmal zur Folge, dass diese Künstler oft nicht weiter an ihrem Talent arbeiten und es verkümmern lassen. „Auf dem Lorbeer ruhen“ sagen die Italiener. Das
Ergebnis ist, dass ihre Kunst sich nicht entwickelt, und alles was sich nicht entwickelt, dezendiert irgendwann und stirbt. Viele Künstler, die an ihren Gaben nicht gearbeitet haben, haben karrieremässig nicht das erreicht, was sie könnten, während mittelmäßigere Künstler,
die mehr an sich gearbeiteten haben, lange und fruchtbare Karrieren gemacht haben. Üben macht den Meister, und das bezieht sich auch auf diese Gruppe. Fabiola Schiavulli ist eine talentierte Cantautrice. Sie kann mit dieser Band aber auch solistisch viel mehr erreichen, wenn sie sich ein bisschen mehr mit den Texten und der Musik auseinandersetzt. Leichte Unsicherheiten waren hier und da zu verspüren, die sicher nicht auffällig genug waren um das Publikum zu verlieren,
aber gäbe es diese nicht, könnte diese Formation auch den strengsten Intendanten
überzeugen. Wenn so ein Bühnentalent vorhanden ist, finde ich, dass es sich lohnen würde, ein bisschen mehr Show machen. Vielleicht ein bisschen mehr Theaterspiel zwischen den Musikstücken, das ihre drei Kollegen deutlich mehr miteinbezieht. Und warum nicht neue, lustige, echte Texte bzw. Rollen für alle Beteiligten schreiben, ein bisschen politisch, ein bisschen satirisch, sexy und humorvoll, mehr wie im Kabarett.
Die Künstler der Piazza Grande haben mir gezeigt, dass sie großes Talent für das Improvisieren haben, Einfälle ohne Ende sind da. Also weiter auch auf diese Karte setzen, die Musik ist prima so.
Ach ja, noch eine letzte Bemerkung: Ich würde auch ein bisschen mehr am Image der Gruppe arbeiten. Wenn sie schon Theater machen, warum dann nicht auch „Italienischen Look“ zeigen, ein bisschen Milano-Chic oder sizilianischer Mafia-Auftritt, ein paar Photos oder Bilder im Hintergrund etc. Ich wiederhole, das Potenzial der Gruppe ist enorm, mit ihrer Musik können sie die Abende mit echtem italienischen Geist bereichern. Ich wünsche ihnen Wachstum, stete Inspiration, Leidenschaft, Lust und natürlich auch die verdiente Belohnung: Einen warmen Applaus und ein stets ausverkauftes Haus wie an jenem unvergesslichen Abend Ende Januar in München-Pasing.