Dienstag, 5. November 2013

Dantons und Theaters Tod

("Dantons Tod" von Georg Büchner, in den Münchner Kammerspiele, 5.11.2013)

Heute starb in den Kammerspiele nicht nur Danton, sondern das Theater selbst samt einem Teil des Publikums, und zwar an Langeweile!
Ich bin es langsam müde, immer wieder solche verfremdeten Aufführungen erleben zu müssen. Das Theater sollte ein Fest sein, zu dem man geht, um sich inspirieren zu lassen. Die Schönheit, und vor allem die Echtheit, wie es sich die Romantiker damals vorgestellt haben, das sollte auf der Bühne vorherrschen und nicht der meist sinnlose Egotrips des einen oder anderen Regisseurs oder auch Darstellers. Ja, ich erhebe mein "J´accuse" auch gegen die Schauspieler, weil jeder, der nicht reagiert, der seiner eigenen Stimme der Vernunft nicht zuhört, ist mitschuldig.

Herrscht in der Theaterwelt heute eine Art Diktatur oder Inflation? Wird die Natürlichkeit, die Freiheit des Geistes und des Körpers total unterdrückt, so wie in den Schreckenszeiten der verschiedenen Diktaturen, fast so wie zu Zeiten "Dantons"? Unter solchen gewissermassen unnatürlichen Verhältnissen auf der Bühne und der teilweise absurden Deklamation, konnte ich den Text von Büchner kaum mehr erkennen. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, diesen Romantiker Büchner, den ich so verehre, mal wieder zu "treffen". Leider konnte ich die Schönheit des Textes nur mehr zum Teil genießen. Zwar blieb der Grundgedanke erhalten, dass es in diesem Stück um den Konflikt zwischen zwei Menschen geht, den Büchner als Anschauungsmodll benutzte, um verstehen zu können, warum eine Revolution stets blutig wird und am Ende ihre eigenen Kinder frisst. Warum kann es nicht einfach ein Fest der Befreiung sein, anstatt der Gewalt? Robespiere wird zum "Blut-Messias," wie er sich selbst nennt, ein Revolutionär, der mit dem Messer "sauber" machen will, ein Diktator in bester Tradition! Und im Gegensatz Danton, der andere Revolutionär, der die Natürlichkeit und die befreite Sexualität als Quelle der Revolution versteht. Ein ziemlich genialer, philosophischer Gedanke, der immer noch aktuell ist. Und am Ende unterliegt derjenige der Gewalt des Diktatoren, der die Wahrheit ausspricht. Er stirbt wie ein Messias, so wie auch Büchner jung gestorben ist, nachdem er seine Botschaft der Liebe und Freiheit in alle Winde geschrieen hat durch die Schönheit der Sprache und kraft seinen Ideen. Aber dann, gestern auf der Bühne, hat Robespiere triumphiert, mit seinen Diktatur der Angst und Hasses gegen die Natürlichkeit. Was hat den Regisseur dazu getrieben, diesen Text so gnadenlos zu vernichten?

Wenn das Theater der Sphäre des Dionysus gehört, diesem Geiste, der durch die Natürlichkeit die Revolution bringt, diesem Geist, von dem Büchner und Danton sprechen; Wieviel davon lässt sich noch in den Kammerspielen finden? Wieviel von diesem Geist herrscht überhaupt noch auf den deutschen Bühnen? Wo ist die Natürlichkeit im Ausdruck eines Schauspielers geblieben, diese unbeschreibliche Ausstrahlung, die die Bernhard oder die Modjewska unsterblich gemacht hat?
Ich bin hungrig nach echter Sinnlichkeit, echtem Gefühl, nach dem Ausdruck der Seele, nach Ursprünglichkeit, den Wurzeln, eben nach all dem, was ein Priester des Dionysus, ein Theatermensch, mir geben sollte! Etwas dieser Art zu geben ist zuletzt vielleicht noch Strehler gelungen oder vielleicht auch noch Peter Brook. Ihr Verhältnis zum Theater war vielleicht am besten zu vergleichen mit der Demut und Liebe eines Priesters zu seinem Gott! Und vor allem voller Liebe zur Menschheit, soll heißen: Zu ihrem Theater-Publikum.

Auf den deutschen Theaterbühnen scheint es keinen Platz mehr für das (echte) Revolutionäre zu geben, für das Heilende. Sogar die Menschen, die das Theater besuchen, scheinen sich ebenso gleichgültig gegenüber dem Menschlichen in sich zu verhalten, wie die Schauspieler auf der Bühne. Die Elite in ihren Anzügen pseudo-intellektuellen Stils, die "Kulturpolizei", die jeden frei heraus und natürlich lachenden oder weinenden Zuschauer durch mißbilligendes Zischen zur Ordnung rufen, damit nur ja die Grabesstille in der heiligen Halle nicht durch das Leben gestört wird, ist das noch ein Theater-Publikum, wie es die Griechen damals in Epidauros vorgefunden haben? In ihren Theater, mitten in der Natur, zwischen Zikaden, Eulen und Wildschweinen?
Oh, Freiheit und Natürlichkeit, ihr seid nicht mehr in den Theatern der Grossstädte zu finden! Sollen wir eine Alternative suchen, dann beginnen wir am besten gleich. Nie war die Menschheit nach echter Kunst hungriger als heute.

Wer die Schauspieler des heutigen Abends waren? Ich spüre kein Bedürfnis sie mit Namen zu nennen. Sie waren nicht "sich selbst". Mit ihren unmöglichen Deklamationen haben sie mich fast wütend gemacht! Niemand spricht so im Alltag. War wirklich der Hund, der neugierig und unbefangen auf der Bühne herum schwänzelte, der einzige echte Darsteller? Diese Akteure waren taub für ihre eigene tiefste Wahrheit, was also sollten sie uns weiter lehren können, wie uns in irgend einer Weise auch für unseren Alltag inspirieren?

Georg Büchner und sein genialer, wunderschöner Text, in dem er so eindringlich sein Bedürfnis nach Wahrheit zum Ausdruck bringt, hat versucht, durch das Theater gesellschaftliche Kritik zu üben. Sein großes Anliegen war, die Einzigartigkeit und Würde des menschlichen Wesens zu besingen und auf seine Weise dafür zu kämpfen. Er hat von der Freiheit und dem Glück des Individuums geträumt. Und dann kommen diese von Ehrgeiz geblendeten Regisseure, vergewaltigen seinen Text, nehmen ihm jeden Sinn indem sie ihn zerfetzen, ihn zerstören, ihm die Seele rauben (was ist ein Text wert, der keinen ursprünglichen Sinn mehr hat und ein "Sprecher", der jede Verbindung zu seiner Seele verliert?) Sie stehen da, in ihrer Selbstdarstellung, schreien, deklamieren unnatürlich, wer weiss warum... Und dieses Publikum, das nicht mehr reagiert! Das sich mit jeder Banalität zufrieden stellen lässt! Dem es genügt, mit Stolz sagen zu können "ich war im Theater", der sich zwingen musste, der Langeweile zu trotzen und bis zum Schluss auszuharren, nur um sein intellektuelles Kaliber zu beweisen.

Nein, wenn man Herrn Büchner wirklich Ehre erweisen will, so sollte man noch während der Aufführung guten Gewissens aufstehen und gehen. Und dann sollte man zuhause sofort Georgs Büchners Texte lesen und sich dabei vorstellen, wie überzeugend die tragischen Figuren seiner Dramen deklamieren würden, wären sie so wie er selbst, eben auch auf der Bühne echte Menschen, voll von Leidenschaft, Romantik und Idealismus. Und wer Büchner posthum ein Geschenk machen möchte, der sollte selbst "Dantons Tod" inszenieren, (aktiver Revolutionär werden anstatt passiver Konsument), egal ob auf einer kleinen Bühne oder zuhause im Kreis seiner Freunde, mit leidenschaftlichen Schauspielern, die vielleicht nicht soviel studiert haben wie die Platzhirsche der Kammerspiele, aber dafür kein Quäntchen Arroganz besitzen und sich nicht die geringsten Sorgen um ihren (dem Beamtentum ähnlichen) "Theater-Status" zu machen brauchen. Einfach, und im tiefen heiligen Sinn des Theaters, soll der Schauspieler deklamieren, mit Demut, als ein Diener der Seele, der universellen Seele, Dantons Seele, Büchners, meiner und deiner.

Um gotteswillen, wer rettet das Theater und die Kunst noch? Meine Antwort heißt: Ich, du, wir. Im Sinne einer Revolution. Schenken wir keine Aufmerksamkeit mehr den Diktatoren ... Die Natur ist stärker als jeder Diktator!