Sonntag, 9. August 2015

Tristan in Bayreuth 2015: Das musikalische Theater, auf dem Weg des Verschwindens, jetzt schützen!

Ich habe gestern Abend im Sat3 die Übertragung des "Tristans und Isolde" aus Bayreuth gehört und gesehen. Natürlich habe ich eine ganze Woche lang mit grosse Spannung diesen Samstag erwartet, da auch für mich wie für viele andere grosse Liebhaber des musikalischen Theaters, diese Oper sehr viel bedeutet. Tristan ist eigentlich ein Werk die Verehrung wessen, Menschen aller Zeiten vereint, Menschen die denselben Pathos spüren, eine Sehnsucht nach einer anderen Welt teilen, der freien Liebe, einer Welt wo der Gott Eros (wovon Socrates in Symposium spricht) frei, die Menschen mit seiner Macht versucht den Göttern näher zu bringen. Auch ich stelle die Macht des Eros über alle Konventionen und weltliche Gesetze, deshalb bin ich von Tristan seit meiner Kindheit schon fasziniert, und seine Traurigkeit der unerfüllten Sehnsucht kann ich sehr gut mitfühlen. Meine Herkunft aus Griechenland macht meine Wagner-verehrung noch stärker. Ich werde nie den Abend vergessen, wo ich über meine Kopfhörer Waltraud Meier als Isolde, direkt übertragen aus Bayreuth in Cap Sounion hörte, dort oben am Tempel des Neptuns an einem Felsen gesessen und den ganzen Meer betrachtete, und genau am Ende des Liebestodes ist die Sonne hinter den zwei Berge am Horizont am Meer untergegangen. Von diesen verrückten Zufällen hat mir die wagnerische Musik mitten in der Natur nie gesparrt. Die Schönheit der griechischen Landschaft, ihre geistige Geschichte die überall zu spüren ist, passt zu der Wagnerischen Musik und Theater so gut! Wahrscheinlich deshalb, weil dieser Komponist den Geist des griechischen Theaters so sehr verehrt hat, und genau das wiederbeleben wollte, was die Altgriechen in Epidaurus und die anderen Theater getreibt haben. Das Theater war in Griechenland damals  Heilmittel. Der Tempel des Dionysus (ein Theater) stand in den geistigen Zentern (in Delphi, in Epidauros und überall), neben dem Tempel des Apollo und dem Tempel des Asklepios, Gott der Gesundheit. Und die Menschen, alle Menschen unabhängig ihrer sozialen Herkunft, haben sie im Theater getroffen, die Geschichte von Menschen und Götter angeschaut, diese seltene Momente des Pathos das die Katharsis brachte, erlebt und gereinigt, erleuchtet, mit eine neue seelische Verfassung ihr Leben weitergelebt. Ja, im Theaterstück (und damals die Musik war ein Teil davon) gab es immer Momente der extremen Tragik, dort wo der Zuschauer überfordert von der Wahrheit der Gefühle, wachte auf. Wie kann ich vergessen, wie mir die Haare sich nach oben sträubten, als ich den Schrei der Hekuba in Epidauros gesehen habe. Ich war danach nicht mehr dieselbe.
Nicht nur weil ich Opernsängerin bin, nicht nur weil ich Griechin bin, sondern weil ich es tief in meiner Seele spüre, ich weiss dass das Theater etwas viel tiefer ist als das was ich oft auf der europäischen Bühnen sehe und höre. Manchmal passiert es, dass ich das tiefe theatralische Pathos, in der Oper in München erlebe, ja, es ist schon ein Paar mal passiert. Deshalb habe ich mich nie bis jetzt beschwert, und nie die Notwendigkeit gespürt, gegen die sogenannten "modernen" Regien zu klagen, weil ich glaube an die Freiheit besonders in der Kunst, und irgendwie ich bin zuversichtlich dass diese Leere irgendwann verschwindet... Ist es aber in einem reichem Land möglich? "Penia technes katergazete" die Armut betreibt die Künste, sagten die weise Griechen. Ist das vielleicht der Grund warum das deutsche Kino so leer ist, und auf der deutschen Theaterbühnen nur absurde sinnlose Aufführungen stattfinden? ich gehe seit Jahren im Theater nicht mehr. Zeitverschwendung...

Seit langen Zeit empfinde ich den Schauer nicht mehr. Und ich vermisse es. Besonders weil die Zeiten verlangen eine "Katharsis". Das Volk ist müde von der finanziellen Problemen und Krisen, die Gewalt der Kriege, die Flucht aus dem Orient, die Menschen haben ihre menschliche Seele irgendwo verloren, man braucht wieder eine "Heilung", eine "Reinigung", rituel in einem Theater zu spüren, und nicht über die hilflose Politik, nicht über Gewalt und Kriege, sondern über die sanfte aber starke Macht der Kunst und des Theaters. Mystisch zwar aber ganz sicher, das Theater stellt die Menschen vor einem Spiegel, und sie können sich putzen, sich verbessern. Seit tausenden Jahren ein sicheres "medizinisches" Rezept!

Und deshalb habe ich auf diesen Tristan so sehnsuchtsvoll gewartet, auf die Emotionen, die die Helden berühren, sie erlösen, und auf die Macht der Musik, die meine müde Seele zu neuem Leben beleben sollte. Tristan, Symbol der Macht der Erotik und die Unsterblichkeit der liebenden Seele... und 20 Uhr naht, noch ein Interview mit einem verkopften Intellektuellen der sich als Wagner Experte vorstellt und kompliziert über etwas sehr einfaches zu sprechen anfängt, ich warte nur auf die Musik, die alles erklärt mit der einfachsten und schönsten aller Sprachen. Und die sinnlichste noch dazu, eine Sprache die bis in die Tiefe deines Wesens reicht, und du erlaubst es, auch wenn manche Philosophen (siehe das "Feuilleton" der Zeit, wo Sloterdijk über Bayreuth schreibt) es Narkotikum nennen, es ist nur der elektrische Schlag, der die "tote" Seele, verloren in einer absurd unmenschlichen Gesellschaft, neues Leben gibt, ja diese Musik erlaubst du, dich hinzureissen.

Und dann erklingt die so berühmte erste Melodie, die traurige "Tristan Frage" und Antwort der liebenden Welt, und dann dieser erotische Walzer beginnt, das das Präludium der Oper ist. Der Liebes-Walzer der zu dem verzweifelten Höhepunkt bringt und dann fällt wieder zusammen, so schön, so wahr, so oft auch im Leben empfunden! Und dann sehe ich dieses Bühnenbild... und verstehe gar nicht was los ist.
In meinem geistigem Kino habe ich immer (beim Anhören der Musik) die neblige geheimnisvolle und dunkle Atmosphäre gesehen, wo auf einem gespenst-ähnlichem Schiff, wie Symbol einer toten komformen Gesellschaft wo alte Könige heiraten junge Frauen ohne sie zu kennen (Game of Thrones) und lieben, die Handlung beginnt. Auf diesem Schiff, sehnsuchtsvoll, die eine wütend, der andere traurig reisen die zwei Helden, und sie toben mit grossem Pathos in Musik und Dramaturgie meisterhaft von Wagner geschrieben, auf Erlösung wartend. Man spürt jede Emotion, und setzt sich so gut in der Rolle der Helden, dass wenn schliesslich der Moment des Filter-Trinkens kommt, man spürt endlich die ersehnte süsse Erlösung, das Glück, das fast sexuelle Dimensionen nimmt, wie in der Gesellschaft, auch in der Oper verbotene Erlösung, und genauso wie bei diesen Helden, es ist dir Wurscht, du willst nur erlöst werden auch wenn das Sterben heisst (wie revolutionär!). Ich kann keine mehr erotischen Oper mir vorstellen als Tristan, vielleicht Carmen nur, oder Thais kann sich mit ihr vergleichen, aber sie gewinnt über alle. Weil sie nicht nur über Erotik sonder auch über die Mut und die Frechheit des Revoluzen spricht: "Ich verbrachte dich, Gesellschaft, weil ich verliebt bin, egal ob ich sterbe, ich sterbe liebend! es ist besser als 100 Jahren nicht verliebt leben". Das Pathos der Momente des Filter-Trinkens, des Duettes im zweiten Akt, die vezweifelte Sehnsucht Tristans im 3en Akt oder der Liebestod, finden in der musikalischen Literatur der modernen Zeit nichts vergleichbares. Ich stelle sehr gerne deswegen Wagner neben Euripides, weil ich schätze dass das erotische Pathos der Phädra, die Tragik des Todes von Pentheas genau ähnliche Gefühle im Publicum damals ausgelöst haben wie "o sink hernieder Nacht der Liebe" oder "höchste Lust" und die andere Momente im Tristan.

Ich dachte, dass Eva Wagner, hätte das alles gewusst, hätte die theatralische Berufung ihres ur-ur-grossvaters gekannt, und deshalb war meine Spannung diese Aufführung zu sehen sehr gross. Und noch weil vor ein Paar Wochen habe ich selbst in Bayreuth die Generalprobe der Walküre gesehen und ich war begeistert zum ersten Mal in meinem Leben zu erleben, wieviel von der mystischen Religiosität im grünen Hügel zu spüren ist, die man in Orte wie Delphi und Epidayuros spürt. Es gibt in der Luft die ruhige, sehr menschliche, universelle Wahrheit, sie ist nicht nur in der grünen Natur zu spüren die das Theater umgibt, sondern auch in der schönen Gastfreundschaft der Bayreuther, ihr Lächeln, ihre Offenheit, und dann sie ist in der Erwartung zu spüren, die soviele Menschen dieses Stück gemeinsam zu erleben wollen, noch eine grossartige Theatergeschichte (diese Wallküre), die über die Grösse der von der Götter befreite Menschheit spricht. Tragik die verbunden mit herrlichen Musik, Erlösung bringt, Triumph auch hier des liebenden Menschen über Alles. Dieses Publikum, die an solche Ideen glaubt, sich von solchen Ideen immer noch begeistern lässt, trifft sich da, in dieser herrlich schönen Stadt, in diesem so idealisierten Theater. Man spürt dass hier alles anders ist... Der Saal, der Orchestergraben, die Bühne, macht ein einzigartigen Tempel aus, einer unexistenten Religion. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt die man ohne Gewalt, über die heilende Kraft der Musik erreichen kann.

Jetzt wo ihr weisst, was ich an diesem Abend erwartet habe, könnt ihr euch gut vorstellen wie enttäuscht ich war diesen Tristan anzuschauen, und am Ende wie verzweifelt ich war, in Bayreuth, in diesem Tempel, die Musik und das Theater Wagners so sinnlos anschauen zu müssen. Es war fast wie noch eine Vergewaltigung seiner Ideen, seiner Träume... in seinem Haus, vielleicht wie in dieser Zeit in Syrien passiert, wo ein Feind in Häuser von anders-denkenden Menschen kommt, und sie vergewaltigt und zu konvertieren versucht. Ihr werdet jetzt nicht einverstanden sein, wenn ich so einen heftigen Vergleich mache (ich selbst mache ich es ungern), aber ich sehe persönlich dieselbe Tragik in der Gewalt in Länder wie Syrien über die religiöse Kämpfe und die Gewalt mit der man die Musik in den reichen Länder verstümmelt, weil sie nicht an die Ideale von Träumer wie Wagner oder Verdi glauben! Islamisten die die christliche Ideen nicht akzeptieren da, zynische Interpreten die an die Kraft der menschlichen Leidenschaft nicht glauben hier:
Was ist der Tristan, ohne dass Tristan und Isolde ein Filter-trinken und gleich danach sich heftig erotisch umarmen, was ist Tristan, wenn während des Liebesduettes die zwei Helden in die Leere (statt sich in die Augen) starren, getrennt in verschiedene Richtungen (dieses Trennen der Liebhaber in dem Liebesduett ist eine Mode die zulange jetzt dauert! reicht´s ich will sie Küssen sehen!), was ist Tristan ohne die Verklärung der Isolde in ihrem Liebestod? Antwort: ein verstümmelte Tristan. Ohne Herz, ohne Hände, ohne Mund und Zunge.... Vergewaltigt, machtlos.

Und das Publikum? das so lange an die Emotionen des Liebespaares gewartet hat, um in dieser Musik wieder zu leben, um die höchste Wahrheit der Liebe nochmals zu spüren, muss sich alles das anschauen, genauso wie diese Videos die die Terroristen im Internet stellen. Wagner erschossen vor ihren Augen, keine menschliche einfache Emotionen, kein Pathos, keine Ideen. Nur Sinnlosigkeit, Leere, Verneinung von jeder Idee, und sogar Verneinung des Theaters. Nicht einmal eine Geste, ein Ausdruck dass man sagen könnte: eine Regisseurin hat mit diesen Schauspieler gearbeitet, wie Strehler oder Peter Brook mit seinen Mitarbeiter gemacht hat.
Ach, in der Musik steht alles schon. Man braucht keine Regisseure, wenn sie nicht fähig sind etwas besseres zu schaffen als das was schon geschrieben ist. Man schliesst die Augen und hört die Musik (so habe ich schliesslich im dritten Akt gemacht, wozu noch weiter anschauen, wenn die Musik Gottseidank so schön ist, das kann niemand kaputtmachen!) und braucht keine Regie mehr.
Ja, trotzdem muss ich mich beschweren: in Zeiten von grossen Krisen, es ist unerlaubt so teuere Bühnenbilder zu schaffen, ohne Sinn! Man will nur eine Katharsis erreichen, dazu braucht man nichts mehr als Licht, Raum und ein Paar leidenschaftliche gute Schauspieler. Und das kostet nichts! Der Geist kostet nichts... Es ist gratis, greift einfach zu!

Die Operwelt ist immer noch leider sehr krank. Ein Finanzsystem, das die Oper neben dem Fußball als das teuerste Geschäft macht (man sagt " Oper ist nur nach dem Krieg, das teuerste Geschäft", welche Schande), wo die Künstler (wie ich) arbeitslos andere Berufe machen müssen, weil es so wenig Platz auf der Bühnen gibt, oder weil das System sie nicht auf die soviele Theaterbühnen bring, auch die kleinste, und die nur den wenigen gut verkaufenden Namen Chancen gibt, und soviel Geld, und sowenig Pathos... Warum?
Die Oper, das Theater sollen heilend sein, und sie sollen den Massen erreichbar sein. Nicht teuer und nicht nur an die reiche Eliten gerichtet. Die Welt ist heute so krank weil die 99% der Menschheit, die arm ist, kein Zugang zu den "Tempel" des Geistes haben. Weil die Theater so teuer sind, suchen die Menschen geistige Alternativen, gehen sie in die verschiedene Kirchen wo sie dann vielleicht radikalisiert werden und Kriege führen. Und im Theater, die Sehnsucht nach einer gewaltlosen Revolution eines Wagners oder der Pazifismus, die man in jeder Verdi Oper spüren kann, oder die sonnige Natur der mozarttschen Musik, alles das dürfen nur diese Menschen sehen, die alles das nicht brauchen und nicht suchen, schlafende Menschen die nichts verstehen, die von ihrem sehr viel Geld die Wahrheit des Lebens nicht mehr spüren können, und sie sitzen da, und verstehen nichts, und wenn am Ende der Vorhang des sinnlosen Spektakels fällt, sie applaudieren warm, weil es die Katharina Wagner war, und weil sie kein Pathos mehr verspüren und deshalb hat ihnen diese sinnlose Aufführung angesprochen.
Und so soll die Idee des Theaters sterben, wie vor ein paar Monate die Idee der Demokratie (ich meine natürlich den Kampf der verschuldeten Griechen, um ihr Land souverän regieren zu dürfen) zu sterben drohte? Ein grosses "Nein" muss auch hier laut gesagt werden. Das "Nein" der Menschen die das Herz noch im richtigen Platz haben, und die Sehnsucht des Tristan und der Isolde immer noch verspüren können. Nie werden solche Menschen verschwinden, einer davon war Wagner, der mit seiner Kunst gegen die Sinnlosigkeit der Musik seiner Zeit gekämpft hat. Und wir werden für die Idee des Theaters kämpfen, egal wie wenig Macht wir haben... Könige Ludwigs gibt es vielleicht doch irgendwo versteckt!