Donnerstag, 14. Februar 2013

ein philosophisches Sci-fi: Das Nazaret Project


Verschwörungstheorien, okkulte Pläne von Menschen, die das Schicksal des Planeten in ihren Händen halten, ideologische Kriege etc. sind beliebte Themen in der Literatur unserer Zeit. Das Verborgene ist geheimnissvoll und spannend. Und wenn es irgendwie mit der aktuellen kritischen weltpolitischen Situation im Zusammenhang steht, ist es noch interessanter. Wir sind politische Wesen, und wenn die Kunst neben der reinen Unterhaltung noch Stoff zum nachdenken anbietet um die Lebensqualität zu verbessern, hat man noch einen Grund mehr, ein Buch zu mögen. Irgendwie habe ich dieses „Nazaret Projekt“ gemocht, und ich denke nicht nur, weil es eine interessante Geschichte ist, die bis zum Schluss die Spannung hält,  oder weil es ziemlich unkonventionell geschrieben ist. Ich habe es geliebt weil es indirekt zu mir gesprochen hat, als wäre es ein weiser Freund, der mir seine Lebensessenz mitteilen wollte. Das was er –nach langer Erfahrung- als tiefste Ursache für das Leid in der Welt hält. Während ich dieses Buch las, wusste ich (anders als beim „Da Vinci Code“ oder der „Illuminatus-Trilogie“, denn Nazaret-Projekt gehört in dieses Genre), dass es nicht nur um eine unterhaltsame Geschichte geht. In ihrem „spirit-of-the-seventies-style“ wirkt sie ein bisschen psychedelisch, ein bisschen esoterisch, auf jeden Fall sehr rebellisch.
Hanfs Protagonisten scheinen keine echten Personen zu sein. Er beschäftigt sich nicht mit ihrer Seele, ihren Gefühlen und ihren Beziehungen als Individuen. Sie haben auch oft unmögliche, symbolische Namen und sind Marionetten in einem höheren politischen Spiel. Genau dieses Spiel ist der eigentliche Protagonist des Romans. Letzten Endes ist es das Thema der Religionen, das Heinrich Hanf am Herzen liegt, das vielleicht ein Teil der Verantwortung für die politischen Probleme der Welt trägt und nicht die Geschichten von bestimmten fiktiven Individuen, Protagonisten von unzähligen andere Romane. Aber warum ist Heinrich Hanf so gleichgültig über seine Menschen? weil er einfach so ist! Anders als die anderen. Sein Roman ist eine Geschichte der Ideen, sie sind die Protagonisten. Mit Spannung bis zum letzten Satz führt uns der Autor durch den Plot, aber nebenbei verstehen wir langsam, dass es hier um Philosophie (Liebe der Weisheit) geht. Dazu trägt auch die originelle Gliederung der Kapitel bei. Die Handlung wechselt wie in einem Film von einem Ort zum anderen, vom Westen zum Osten, vom Norden zum Süden, mit einer Parade der unterschiedlichsten Personen, Mythologien, okkulten Organisationen und Religionsführer. Zwischendurch immer wieder ein kurzes Kapitel mit einer Referenz an die Tage der Schöpfung (Genesis genannt), wie Intermezzi zwischen den verschiedenen Akten eines Dramas, quasi eine Meditation, eine ruhige Pause des Nachdenkens, die mich irgendwie an die langatmigen Momente im Weltall in dem Film „Oddysee 2001“ erinnern. Ein transzendentaler Kommentar des Autors zur Handlung, als wäre alles schon von Gott geplant, als wäre alles was wir erleben nur ein Spiel, das er mit seiner Schöpfung treibt.
Aber am Ende und nur in den allerletzten Sätzen verstehen wir plötzlich und unerwartet, worum es wirklich geht. Wie ein Kaltbad, ernüchternd und kathartisch, kommen ein paar Zeilen in einer starker Sprache, die den Leser mit einem komisches Gefühl des „Unvollendeten“ zurück lassen. War das Absicht? Warum fehlt ein letztes Kapitel mit dem siebten Tag der Genesis? Soll etwa noch ein zweiter Teil des „Nazaret Projektes“ erscheinen, weil der Sonntag der Schöpfung nicht mehr erwähnt wird? Über den Tag, an dem der Herr geruht hat, gibt es offenbar nichts mehr zu schreiben. Der Mensch ist frei, weiter seine eigene Geschichte zu schreiben, er ist auch frei sein Leben selbst zu gestalten, und mehr hat Hanf nicht zu sagen: In diesem letzten Abschnitt ist alles gesagt, kalt und streng. Der Rest ist Geschichte, die wir selbst schreiben.
Heinrich Hanf ist zweifellos ein Philosoph. Er liebt es, über den Sinn des Lebens nachzudenken, aber er scheint auch ein realistischer Menschenkenner zu sein. Fern von jedem romantischen Ideal des Supermanns, beschreibt er die menschlichen Schwächen ohne jedes Gefühlsengagement mit leisem Zynismus, aber doch mit viel Humor. Sein Mensch lässt sich leicht von Ideologien manipulieren und für eine absurde Idee kann er sogar Atomkriege führen. Dessen Schicksal als Individuum liegt in den Händen von Priestern und Politikern. Mit seinem satirischen, „Quasi-Komik-Stil" (eben „illuminatus-trilogie“ ähnlich) klagt er gegen die Allmacht der Religion über das menschliche Bewusstsein. Seine Kritik übt er mit der Kraft des Humors, dieser zynische Philosoph, Hanf. Man lacht über die paranoiden Charaktere, die sich selbst so ernst nehmen, den Berlusconi ähnlichen Protagonisten, über den fanatischen Priester, die devote, an ihre Berufung glaubende Klosternonne, und auch über die Kinderfigur des neuen Messias lacht man, obwohl rund um diese Protagonisten der Terror einer apokalyptischen Zeit herrscht, nämlich der heutigen.
Das Buch wurde schon vor etlichen Jahren geschrieben, das sieht der Leser sofort. Die Terror-Angriffe auf die Zwillingstürme des Worldtradecenters sind die initiale Inspirationsquelle für den Schriftsteller. Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seitdem er es verfasst hat, aber dass es erst jetzt erscheint, im Dezember 2012, ist vielleicht nicht zufällig: Das berühmte Ende der Geschichte laut dem Maja Kalender ...
Also, hier haben wir ein philosophisches Traktat und nicht nur eine spannende Science-fiction Geschichte mit religiösen Inspiration. Auf beiden Gebieten trotzdem beweist Hanf sein Talent. Er hat einen Haufen Einfälle und seine Fantasie kennt fast keine Grenzen. Schon die zentrale Idee, den Jesus zu klonen, um die Wiedererscheinung des Erlösers getreu den apokalyptischen Texten zu ermöglichen, ist interessant. Das und andere Elemente des Plots weisen auf gute wissenschaftliche Kenntnisse hin, deshalb findet der Roman seinen guten Platz in der Science-Fiction-Literatur. Ich finde es auf jedem Fall bewundernswert, wie er Wissenschaft mit Spiritualität verbindet. Hanf der Wissenschaftler verneint die Existenz Gottes nicht, auch wenn er die Spiele der Religionen ablehnt und belächelt, weil sie feindlich gegenüber der Wissenschaft und der echten Spiritualität sind.
Aber diese Mischung aus Science-Fiction und geistigem Werk ist nicht das einzige Ungewöhnliche und Interessante in diesem Buch. Hanf ist kein Autor der leichten Muse, auch wenn er sie so gerne vertritt. Seine Bücher sind nicht pure Belletristik, sie sind echte Literatur. Er erzählt nicht nur in Wörtern. Hinter den Zeilen gibt es etwas, das man in einem Fantasy- oder Science-Fiction-Roman nicht erwartet. Da ist Poesie, die Kunst mit der Sprache so umzugehen, dass eine Magie entsteht, welche die Seele berührt. Die Beschreibung einer Landschaft oder einer Bewegung sind mit einer Aura umgegeben, die ich nicht anders nennen kann als „Schönheit“. Es geht um die Liebe zur Kraft (oft auch eine musikalische Kraft) der Wörter. Es ist etwas, dass einen Meister der Sprache auszeichnet und mit dem er seine Leser in die Bahnen paralleler Welten einweiht. Man lässt sich aber gerne von ihm führen. Nur als kleines Beispiel, wie er die Schönheit und Gewalt des grauen Hafens von Stockholm in einem einzigen Satz beschreibt:
„Schiffsmasten und qualmende Schlote, stinkende Dieselaggregate, mächtige Kranausleger, endlose, bunte Reihen gestapelter Container, vom nächtlichen Fangzug zurückkehrende Fischerboote, emsige Bugsierschlepper, riesige Lastwagen auf den Kais und tief im Wasser liegende Frachtschiffe, die salzige Seeluft gleichermaßen erfüllt mit dem Geruch von Wehmut und Abschied, ungewisser Ferne, wilder Freiheit und Abenteuer, Dieselöl, Fisch, Verwesung und Wiederkehr; Sie war erfüllt von einer Kakophonie aus unterschwelligem Hämmern, Knattern, Kreischen und Dröhnen und über all dem die höhnischen und aggressiven Schreie ewig kreisender und ewig hungriger Seemöven.“ Das nenne ich Kunst.
Eine beeindruckende Sprache hat dieser geduldige Handwerker der Schrift, die wahrscheinlich sehr schön auch in einem realistischeren, vielleicht historischen Roman passen würde.
Ich bin neugierig darauf, die nächsten Arbeiten des Schriftstellers zu lesen. Ich habe nämlich eine Frage. Ist es sein Markenzeichen, sich nicht in die Emotionen seiner Protagonisten zu vertiefen, sie nur als Objekte in einer philosophischen Studie zu beobachten? Von da oben gesehen, aus der Sicht der Science-Fiction, was eigentlich ist der Mensch mit seinen kleinen Emotionen, seinen kurzen Liebesgeschichten, Wutanfällen und Leiden? Alles das ist vielleicht unwichtig, und das einzige was bleibt ist das Ergebnis unseren Taten in dieser Welt. Ist Hanf der totale Leugner einer unnötigen Romantik, deren übertriebene Gefühle Generationen von Künstlern in den Tod geführt hat, genau wie die fanatischen Anhänger einer Religion? Wahrscheinlich folgt die zynische, emotionsferne Erzählweise Hanfs konsequent seiner persönlichen Weltanschaung. Emotionalität macht Menschen manipulierbar. Klar und frei von jeder Emotion ist die Erzählung von Hanf, ja, wahrscheinlich ist das eines seiner Merkmale. Eine romantische Liebesgeschichte erwartet man in seinem Roman vergeblich (die letztlich auch in einer Science-Fiktion zu finden ist). Der unkonventionelle Autor wird auf solche Leser-(besonders Frauen) anziehende Tricks verzichten. Trotzdem und letztendlich schreibt Hanf über die Liebe, ja, es geht ihm eigentlich um die Liebe in seinem Buch. Die Liebe, von der jeder echte spirituelle Meister spricht und die durch jegliche Religion korrumpiert wird. Hanfs Liebe zum Menschen ist am Ende des Buches zu spüren trotz der Satire.
„Liebe verankert Wissen“ manifestiert einer der Protagonisten der Geschichte, ein spiritueller Meister, und außerdem der Einzige in dieser Geschichte, den die kaustische Schrift von Hanf ungeschoren lässt. Und so verblieb ich eigentlich nicht unzufrieden, als das Buch plötzlich ohne einen siebten Tag der Genesis endete. Was ich erfahren musste, habe ich erfahren. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Aber wenn ein Nazaret Projekt Nummer Zwei folgen sollte, werde ich es gespannt erwarten und mit Freude lesen.

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