Dienstag, 5. November 2013

Dantons und Theaters Tod

("Dantons Tod" von Georg Büchner, in den Münchner Kammerspiele, 5.11.2013)

Heute starb in den Kammerspiele nicht nur Danton, sondern das Theater selbst samt einem Teil des Publikums, und zwar an Langeweile!
Ich bin es langsam müde, immer wieder solche verfremdeten Aufführungen erleben zu müssen. Das Theater sollte ein Fest sein, zu dem man geht, um sich inspirieren zu lassen. Die Schönheit, und vor allem die Echtheit, wie es sich die Romantiker damals vorgestellt haben, das sollte auf der Bühne vorherrschen und nicht der meist sinnlose Egotrips des einen oder anderen Regisseurs oder auch Darstellers. Ja, ich erhebe mein "J´accuse" auch gegen die Schauspieler, weil jeder, der nicht reagiert, der seiner eigenen Stimme der Vernunft nicht zuhört, ist mitschuldig.

Herrscht in der Theaterwelt heute eine Art Diktatur oder Inflation? Wird die Natürlichkeit, die Freiheit des Geistes und des Körpers total unterdrückt, so wie in den Schreckenszeiten der verschiedenen Diktaturen, fast so wie zu Zeiten "Dantons"? Unter solchen gewissermassen unnatürlichen Verhältnissen auf der Bühne und der teilweise absurden Deklamation, konnte ich den Text von Büchner kaum mehr erkennen. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, diesen Romantiker Büchner, den ich so verehre, mal wieder zu "treffen". Leider konnte ich die Schönheit des Textes nur mehr zum Teil genießen. Zwar blieb der Grundgedanke erhalten, dass es in diesem Stück um den Konflikt zwischen zwei Menschen geht, den Büchner als Anschauungsmodll benutzte, um verstehen zu können, warum eine Revolution stets blutig wird und am Ende ihre eigenen Kinder frisst. Warum kann es nicht einfach ein Fest der Befreiung sein, anstatt der Gewalt? Robespiere wird zum "Blut-Messias," wie er sich selbst nennt, ein Revolutionär, der mit dem Messer "sauber" machen will, ein Diktator in bester Tradition! Und im Gegensatz Danton, der andere Revolutionär, der die Natürlichkeit und die befreite Sexualität als Quelle der Revolution versteht. Ein ziemlich genialer, philosophischer Gedanke, der immer noch aktuell ist. Und am Ende unterliegt derjenige der Gewalt des Diktatoren, der die Wahrheit ausspricht. Er stirbt wie ein Messias, so wie auch Büchner jung gestorben ist, nachdem er seine Botschaft der Liebe und Freiheit in alle Winde geschrieen hat durch die Schönheit der Sprache und kraft seinen Ideen. Aber dann, gestern auf der Bühne, hat Robespiere triumphiert, mit seinen Diktatur der Angst und Hasses gegen die Natürlichkeit. Was hat den Regisseur dazu getrieben, diesen Text so gnadenlos zu vernichten?

Wenn das Theater der Sphäre des Dionysus gehört, diesem Geiste, der durch die Natürlichkeit die Revolution bringt, diesem Geist, von dem Büchner und Danton sprechen; Wieviel davon lässt sich noch in den Kammerspielen finden? Wieviel von diesem Geist herrscht überhaupt noch auf den deutschen Bühnen? Wo ist die Natürlichkeit im Ausdruck eines Schauspielers geblieben, diese unbeschreibliche Ausstrahlung, die die Bernhard oder die Modjewska unsterblich gemacht hat?
Ich bin hungrig nach echter Sinnlichkeit, echtem Gefühl, nach dem Ausdruck der Seele, nach Ursprünglichkeit, den Wurzeln, eben nach all dem, was ein Priester des Dionysus, ein Theatermensch, mir geben sollte! Etwas dieser Art zu geben ist zuletzt vielleicht noch Strehler gelungen oder vielleicht auch noch Peter Brook. Ihr Verhältnis zum Theater war vielleicht am besten zu vergleichen mit der Demut und Liebe eines Priesters zu seinem Gott! Und vor allem voller Liebe zur Menschheit, soll heißen: Zu ihrem Theater-Publikum.

Auf den deutschen Theaterbühnen scheint es keinen Platz mehr für das (echte) Revolutionäre zu geben, für das Heilende. Sogar die Menschen, die das Theater besuchen, scheinen sich ebenso gleichgültig gegenüber dem Menschlichen in sich zu verhalten, wie die Schauspieler auf der Bühne. Die Elite in ihren Anzügen pseudo-intellektuellen Stils, die "Kulturpolizei", die jeden frei heraus und natürlich lachenden oder weinenden Zuschauer durch mißbilligendes Zischen zur Ordnung rufen, damit nur ja die Grabesstille in der heiligen Halle nicht durch das Leben gestört wird, ist das noch ein Theater-Publikum, wie es die Griechen damals in Epidauros vorgefunden haben? In ihren Theater, mitten in der Natur, zwischen Zikaden, Eulen und Wildschweinen?
Oh, Freiheit und Natürlichkeit, ihr seid nicht mehr in den Theatern der Grossstädte zu finden! Sollen wir eine Alternative suchen, dann beginnen wir am besten gleich. Nie war die Menschheit nach echter Kunst hungriger als heute.

Wer die Schauspieler des heutigen Abends waren? Ich spüre kein Bedürfnis sie mit Namen zu nennen. Sie waren nicht "sich selbst". Mit ihren unmöglichen Deklamationen haben sie mich fast wütend gemacht! Niemand spricht so im Alltag. War wirklich der Hund, der neugierig und unbefangen auf der Bühne herum schwänzelte, der einzige echte Darsteller? Diese Akteure waren taub für ihre eigene tiefste Wahrheit, was also sollten sie uns weiter lehren können, wie uns in irgend einer Weise auch für unseren Alltag inspirieren?

Georg Büchner und sein genialer, wunderschöner Text, in dem er so eindringlich sein Bedürfnis nach Wahrheit zum Ausdruck bringt, hat versucht, durch das Theater gesellschaftliche Kritik zu üben. Sein großes Anliegen war, die Einzigartigkeit und Würde des menschlichen Wesens zu besingen und auf seine Weise dafür zu kämpfen. Er hat von der Freiheit und dem Glück des Individuums geträumt. Und dann kommen diese von Ehrgeiz geblendeten Regisseure, vergewaltigen seinen Text, nehmen ihm jeden Sinn indem sie ihn zerfetzen, ihn zerstören, ihm die Seele rauben (was ist ein Text wert, der keinen ursprünglichen Sinn mehr hat und ein "Sprecher", der jede Verbindung zu seiner Seele verliert?) Sie stehen da, in ihrer Selbstdarstellung, schreien, deklamieren unnatürlich, wer weiss warum... Und dieses Publikum, das nicht mehr reagiert! Das sich mit jeder Banalität zufrieden stellen lässt! Dem es genügt, mit Stolz sagen zu können "ich war im Theater", der sich zwingen musste, der Langeweile zu trotzen und bis zum Schluss auszuharren, nur um sein intellektuelles Kaliber zu beweisen.

Nein, wenn man Herrn Büchner wirklich Ehre erweisen will, so sollte man noch während der Aufführung guten Gewissens aufstehen und gehen. Und dann sollte man zuhause sofort Georgs Büchners Texte lesen und sich dabei vorstellen, wie überzeugend die tragischen Figuren seiner Dramen deklamieren würden, wären sie so wie er selbst, eben auch auf der Bühne echte Menschen, voll von Leidenschaft, Romantik und Idealismus. Und wer Büchner posthum ein Geschenk machen möchte, der sollte selbst "Dantons Tod" inszenieren, (aktiver Revolutionär werden anstatt passiver Konsument), egal ob auf einer kleinen Bühne oder zuhause im Kreis seiner Freunde, mit leidenschaftlichen Schauspielern, die vielleicht nicht soviel studiert haben wie die Platzhirsche der Kammerspiele, aber dafür kein Quäntchen Arroganz besitzen und sich nicht die geringsten Sorgen um ihren (dem Beamtentum ähnlichen) "Theater-Status" zu machen brauchen. Einfach, und im tiefen heiligen Sinn des Theaters, soll der Schauspieler deklamieren, mit Demut, als ein Diener der Seele, der universellen Seele, Dantons Seele, Büchners, meiner und deiner.

Um gotteswillen, wer rettet das Theater und die Kunst noch? Meine Antwort heißt: Ich, du, wir. Im Sinne einer Revolution. Schenken wir keine Aufmerksamkeit mehr den Diktatoren ... Die Natur ist stärker als jeder Diktator!

Mittwoch, 26. Juni 2013

Bilder in Mondlandschaft ("Trovatore" in der Bayrischen Staatsoper, 27.6.2013)

Das Bühnenbild ist düster, dunkel und ganz geheimnissvoll. Bald versteht der Zuschauer, dass die (dank einer Drehbühne) ständig wechselnde Bilder, wie Träume sind, Bilder der Seele und des Unbewussten, jetzt Alpträume, Erinnerungen an vergangene Traumi, jetzt sehnsuchtsvolle Wünsche. Er hört dann auf, die vernünftige Erklärung für jede Szene zu suchen, und verlässt sie an die Schönheit der Bilder. Wie durch eine Mondlandschaft wehmutig irrt er zusammen mit den Protagonisten. "Il trovatore" von Giuseppe Verdi, diese so romantische Oper, die immer in der Nacht stattfindet, mit ihren komplexen Handlung, Geister, Scheiterhaufen, Zigeuner, Kloster und Troubadoure, fühlt sich wohl in der Bayerischen Staatsoper mit der Regie und das Bühnenbild von Olivier Py. Alles erinnert an Belle Epoque und die Zeiten der Geburt der Psychologie: Symbole, ein Bett in einer psychiatrischen Klinik (oder ist es ein Hotel?), Illusionisten und erste schwarz-weisse Filme. Das ist die Welt der Träume, der Seele, der Nacht und des Mondes. Ja, ein gelungenes ästethisches Projekt ist dieser Trovatore, der die Wichtigkeit an die Figur der Zigeunerin gibt, die Mutter von Azucena, die wie ein Geist, in alle möglichen Incarnationen die Bühne ständig beherrscht. Ob die grauhaarige die von den Soldaten gefoltert wird, oder die junge schwarzhaarige Zingarella die nackt während des Zigeunerchors tanzt (wer war aber die tolle Tänzerin? jeder im Saal würde gerne ihre Hanynummer haben), sie ist die echte Protagonistin dieser Oper, die Verdi in der Zeit geschrieben hat, als die eigene Mutter gestorben ist. Gewidmet an die Mutterfigur!
Der absolute Protagonist der Oper ist tatsächlich die Beziehung der Mutter mit einem Sohn, in einer dunklen und geheimnissvollen Umgebung, wie das Unbewusste ist. Unter dem Zeichen von Krebs also: was für ein angenehme Zufall, dass die Oper im krebsigen Juli aufgeführt wird, und Jonas Kaufmann, Anja Harteros und sogar auch der Olivier Py Juli-Kinder sind!
 die Regie hat mich an das Film"Fantastische Welt von Oz"erinnert
 Eine ganz gelungene Produktion war das, in der die Sterne-Sänger brilliert haben. Obwohl Manrico eigentlich der Protagonist dieser Oper ist, leider ist seine Musik ziemlich undankbar geschrieben. Deshalb werden die Frauen zu Lieblings des Publikums, auch wenn Manrico ein so grosse Sänger ist wie Jonas Kaufmann. Obwohl er ein "ah si ben mio" gesungen hat, das man vorher nie schöner gehört hat, mit langen Frasen und tausend Nuancen, mit seiner so wertvolle Musikalität und Dunkelheit der Stimme, und auch la "pira" ist ihm absolut gelungen, trotzdem war Kaufmann nicht der Stern des Abends. Eine feurige Azucena (Elena Manistina) die mit Präsenz und Stimme die Szenen dominierte, wie ihre Rolle die Seele ihres Sohnes dominiert hat, diese Mezzosopranistin mit der Riesen-Stimme ihre Musik wie eine echte grosse Verdiana gesungen hat, war vielleicht der grosse Stern des Abends, neben der Leonore der Anja Harteros, die edel, intim und mit perfekten stimmlichen Führung die ganze Schönheit ihrer Musik entfalten vermochte. Nicht nur die lyrische Stellen, sondern auch die dramatische sind ihr wunderbar gelungen (obwohl manchmal ihre Dramatik an Klangqualität verliert), und wie schön ist ihr das Personaggio gepasst, das Py für sie erfunden hat. Eine Frau die in der Nacht wandelt, eine Blinde, eine Frau der Gefühle und sehr geheimnissvoll und gelitten. Man spürt Mitgefühl für sie, man liebt sie fast. Sie ist tatsächlich mit einem riesengrossen Applaus beschenkt, und ganz bestimmt hat sie es verdient. Schliesslich der junge Bariton Alexey Markov hat mit frischen Leidenschaft und Engagement seine schwierige Rolle toll gemeistert. Absolut wunderbar.
Azucena wird auf einem Baum gefestigt.
 Eine Sternenbesetzung hat also die Nacht dieser Inszenierung bereichert, und es ist immer eine echte Freude so schön diese Verdi-oper zu erleben. Nämlich es ist immer die Gefahr, dass seine Musik wird schlampig, manieriert und plakativ gespielt, aber das ist nicht der Fall in München. Der Chor und das Orchester der bayerischen Staatsoper haben mit Kraft und auch mit süsse, feine Klänge die Musik zum blühen gebracht, aber der Dirigent Paolo Carignani hat mich nicht so sehr begeistert wie die anderen Teilnehmer dieser Produktion. Glück hatte er, dass alle seine Sänger Primi-Uomini und Prime-Donne sind, und wissen wie man mit einem Dirigent umgeht, der ihre Bedürfnisse nicht versteht, die kein Gefühl für die Stellen hat, wo ein Sänger ein bisschen dehnen möchte wenn er sich wohl fühlt, oder Unterstützung braucht wenn die Frase zu schwierig ist. Manche tempi waren unerklärlich schnell, andere unerklärlich langsam... Gottseidank diese Musiker machen sowieso wunderbare Musik, das kann kein Dirigent kaputtmachen. Trotzdem, es ist schade wenn man eine Musikerin wie die Harteros in Schwierigkeiten mit dem Tempi hört. Das heisst sicherlich nicht, dass sie kein Gefühl für Rythmus hat, oder? Ok, sie hat eine Tendenz zu schleppen, etwas das oft bei schönen Stimmen vorkommt (sie autocelebrieren sich), aber der Dirigent muss wissen, wie man damit umgeht. Eine seine wichtigsten Aufgaben ist den Protaginisten zu helfen (nicht mit denen zu kämpfen), ihr Bestes auf der Bühne zu zeigen, damit die teatralische Illusion perfekt wird. Also wegen Carignani war die Illusion fast (und nicht ganz) perfekt. Aber das ist schon genug. Seit dem gestrigen Abend bin ich in einer träumerischen Landschaft der nächtlichen Bilder, und so werde ich während des ganzen krebsigen Juli bleiben.Wie die blinde, liebende, leidende aber schliesslich selige Leonora.
Sehnsuchtsvolle Träume vom Sex und Liebe für die blinde Leonore

Freitag, 21. Juni 2013

"König der Herzen" ossia "Simone Bocccanegra"

Bayerische Staatsoper, Samstag 16.7.2013, G.Verdi: Simone Boccanegra
Dies ist eine der Opern Verdis, die zu seinen Lebzeiten nie den erhofften Erfolg hatte. Er persönlich aber hat diese Oper so geliebt, dass er immer wieder versucht hat, sie entsprechend umzuschreiben, um sie populär zu machen. Erst im späten Lebensalter kreuzt sich sein Schicksalsweg mit dem von Arrigo Boito, einem temperamentvollen, genialen Künstler, der Verdis Hoffnungen wieder beflügelt, den Simone doch noch retten zu können. Mir ist nicht bekannt, was der Librettist daran geändert und was der Komponist, jetzt viel reifer, noch dazu geschrieben hat. Aber man erkennt in manchen Passagen die impressionistischen Klangfarben, die geistige Dimension und Schönheit der späteren Verdi-Werke als auch an vielen Stellen die dunklen Fantasien und Facetten des mefistofelischen Boito. Zum Beispiel dieses so unkonventionelle Finale des ersten Aktes, wo Paolo mit dem rituellen Fluch belegt wird (die Musik erinnert an Falstaff) oder das allerletzte Finale, mit den trauernden Glocken, das an Aida und das "pace imploro" der Amneris erinnert.

Was auch immer geschehen ist; Heute hört man auf den Bühnen eine der schönsten Opern von Verdi, nicht nur musikalisch voll mit wunderschönen Melodien und leidenschaftlichen Ensembles, sondern auch dramaturgisch reich an einigen der schönsten Rollen. "Schönheit" ist das richtige Wort. Umweht von den würzigen Brisen des Ligurischen Meeres (das überall in der Musik zu hören ist) und umstrahlt vom Licht der italienischen Sonne, tritt Simone der Herrscher samt seiner Vergangenheit als rebellischer Korsar an, um über den Frieden und über die Liebe zu singen.

So ging mir während des ganzen Abends "Der König der Herzen" als Titel für diese Rezension im Kopf herum. Der reife Mann, der sich sein ganzes Leben lang von der Liebe inspirieren lässt, der ebenso erfolgreich auf den Meeren der Erde wie auf denen der menschlichen Emotionen zu segeln versteht, seine Sehnsucht nach dem verlorenem Glück (in Gestalt der verlorenen Geliebten und wiedergefundenen Tochter) und der im Alter nur noch nach der Maxime "Frieden über alles" regieren will. Dieser Freigeist, der sich dafür den Hass der "grossväterlichen" Figur des Fiesco zuzieht, des politischen Gegners und Vater der verführten Geliebten Maria, der den Simone wie ein unversöhnlicher Commendatore ständig verfolgt, dieser Simone scheint ein Ideal für Verdi gewesen zu sein, nicht zuletzt, weil (anders als bei Don Giovanni) sein "viva la libertá" nicht von Rücksichtlosigkeit, sondern von einer tiefen Liebe für seine Mitmenschen begleitet wird.

Er wollte offenbar nicht nur seine Italienischen Zeitgenossen dazu inspirieren, einander zu lieben und auch politisch zu vereinen, sondern auch er selbst scheint sich persönlich in dieser Gestalt erkannt zu haben. Warum sonst werden in allen seinen Opern die Baritöne so schön dargestellt, mit solch komplexen Charakteren und schönen Melodien? Doch wohl nur deshalb, weil ihm selbst diese Komplexität der Seele vertraut ist und er auch spürt, dass der historische Moment gekommen ist, da der "Mann", der harte, zu herrschen gewohnte Mann, seine Seele entdeckt, sich damit auseinander zusetzen beginnt und etwas Neues hinzu lernt. Dieses Neue ist die Liebe, die Demut, die Gewaltlosigkeit. Ob es Nabucco ist oder Rigoletto, Simone oder Falstaff, alle seine Baritöne werden mit ihrer eigenen, männlichen Arroganz konfrontiert, um am Ende des Theaterstückes eine Verwandlung zu erfahren und menschlicher zu werden. Und auch heute noch ist der Zuschauer jedesmal tief berührt, so einen hartnäckigen Macho am Ende auf den Knien zu sehen, weinend, süss und weich singend von Liebe und Frieden, von Erbarmen und Vergebung.
Simone Boccanegra ist eine von diesen verdi-typischen Bariton-Rollen, die dem Darsteller ganz viele Möglichkeiten geben, vom Publikum geliebt zu werden.  Er muss nur genau so zu singen, wie es in der Partitur steht (wunderbare lange Frasen, oft mit Pianissimi bereichert) und sich an den Text halten - schon hat er alle Herzen gewonnen.

Meines Erachtens war Zeljko Lucic der ideale Verdi-Bariton, weil er sich mit grosser Liebe und Verständnis der Musik und dem Text der Verdi-Opern näherte. Er liebt Verdi über alles, also es kann es durchaus sein, dass auch Verdi ihn liebt und mit grossem sängerischen Erfolg belohnt. Liebe ist auch Leidenschaft, und die Musik von Verdi ist ohne dargebrachte Leidenschaft nur halb schön. Ich möchte anmerken, dass am Samstag alle, wirklich alle Sänger sehr leidenschaftlich zu Werke gegangen sind. Das hat diesen Abend in einen Sternenabend verwandelt und der Applaus am Ende wollte zu Recht nicht enden. Zeljko Lucic als Boccanegra hat wunderbar gesungen, alle Erwartungen (mit seinen Pianissimi vor allem) reichlich übertroffen, die Stimme ist weich, Nuancenvoll, rund und ziemlich dunkel (aber nicht zu sehr, genauso wie sein Vorbild Capuccili) und offenbar  perfekt mit seiner Seele verknüpft. Er kann einen Zuhörer zum Weinen bringen, aber er selbst weint auch gelegentlich. Ich habe ihn nach der Vorstellung getroffen und er hat es mir gestanden. Ein wunderbarer Künstler. Eines Tages wird er uns auch zum Lachen bringen, vielleicht gar als Falstaff?
Zeljko Lucic und Kristine Opolais

Dass Krasimira Stoyanova erkrankt war und Kristine Opolais für sie eingesprungen ist, war ein glücklicher Zufall. Unter der Regie von Dimitri Tcherniakov, die sehr konsequent in der Dramaturgie wenn auch total modern war, ist die Amelia nämlich eine Emo, eine dieser jugendlichen "Gothics", schwarz geschminkt und bleich im Gesicht, mit sehr komplexer Seele. Da braucht man eine gute Schauspielerin, eine junge Frau, die nicht nur schön, sondern die anders ist. Und genau diesen Typ verkörperte die lettische Sängerin auf ideale Weise. Sie verfügte über grosse szenische Leidenschaft, vielleicht weil sie griechische Vorfahren hat? Sie selbst hat mir stolz von ihrem Grossvater erzählt, der ein Grieche war. Egal, jedenfalls ist sie fähig, mit ihrer Präsenz zu fesseln und uns in die Tiefen der menschlichen (hier der weiblichen) Seele mitzunehmen. Dass ihre Stimme nicht die typische runde weiche (italienische) Stimme ist, also keine echte Verdi-Stimme, stört hier nicht wirklich. Aber im Radio oder in einer Aufnahme würde sie vermutlich nicht wirklich überzeugend klingen. Man muss Kristine Opolais sehen. Sie gehört zu den Künstlerinnen, die man  - wie die Callas - unbedingt live erleben muss um ihr Talent geniessen zu können. Sie ist eine charismatische Sängerin und ich habe mich sehr gefreut, sie auf der Bühne erleben zu dürfen.

Als Tenor (Gabriele Adorno) hat sich am Samstag ein ganz junger, sehr talentierter mexikanische Sänger hervor getan, Arturo Chacon-Cruz, unbekannt, aber erstaunlich gut. Ich hoffe, dass ihn dieser sehr erfolgreiche Abend weiterbringt, weil er das Potential hat, ein wirklich guter Sänger für italienische Opern zu werden. So eine schöne, gut geführte Stimme, so eine echte und nicht manierierte (seltene Gabe also für einen Tenor) Leidenschaft, so jung und modern sein Spielen und obendrein auch noch ein gutaussehender, junger Mann. Bravo! Tatsächlich hat das Münchner Publikum ihn reichlich für seine Leistung belohnt. Hoffenlich kommt er bald wieder um hier zu singen.

Als Fiesco hat der Bass Vitalij Kowaljow versucht, diese wichtige Rolle mit Musikalität zu meistern und ich schätze seine Intention. Aber leider hatte ich den Eindruck, dass hierzu ein reiferer Sänger von Nöten gewesen wäre. Er ist zu jung für solche Rollen. Seine Stimme ist gut, aber er ist innerlich noch nicht reif genug um den Boden zu haben, diesen granitmässigen Vater zu spielen und singen. Er hat versucht, das pianissimi zu machen, aber das reicht nicht, wenn die Stimme nicht im Forte sicher ist. Er hat grosse Möglichkeiten, aber sollte erst in Belcanto und Mozart reifen bevor er Fiesco oder Philipp singt. Alles Gute für deine Zukunft Vitalij!

Im Gegenteil dazu hat mich die Stimme des Paolo schon von den ersten Noten an überrascht. Was für ein toller Bass-Bariton! Grosse und schöne Stimme, wunderbare solide Technik, und dann noch dazu ein grandioser Schauspieler! Seine finale Szene mit dem Fluch war so echt, so fantasievoll! Ich werde seine Laufbahn gern weiter folgen, denn er gehört zum Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Vielleicht gibt man ihm zukünftig grössere Rollen. Wer ist der Mann? Levente Molnár ist sein Name und ich wünsche ihm eine grosse Karriere.

Nach soviel Lob möchte ich nun langsam zum Ende meiner Rezension kommen. Ich habe nichts zu meckern, der Abend war magisch und gelungen und ich habe seinen Einfluss noch tagelang gespürt. Das ist ein Zeichen, dass die Theaterillusion perfekt gewesen und die theatralische Katharsis gelungen ist! Das Orchester und der Chor haben zu diesem grossen Erfolg gut beigetragen. Diese Musiker! Solche Künstler hat sich Verdi immer gewünscht, hochkarätig, diszipliniert, gut. Und solche hat er hier gefunden. Hier verweilt er in diesem Jahr, das seinem Gedenken gewidmet ist. In München natürlich, ganz genau, wo sonst! Vielleicht in einem Biergarten im Schatten einer Kastanie bei einem Glas Rotwein oder einer Mass Bier! Da sitzt er glücklich und zufrieden und wartet mit Vorfreude auf die Premiere des Trovatore, der sicherlich ebenso grossartig wird wie dieser Boccanegra ...

Montag, 22. April 2013

"Helden" oder "Grenzen sprengen"

Uraufführung des Balletts "Helden" in der Bayerischen Staatsoper in München
So gehört´s: Sieht man keinen Ausweg aus einer Situation, fühlt man sich unterdrückt, unfrei? Grenzen sprengen! Wenigstens diesen Drang haben die sogenannten heldischen Naturen, die oft dafür zahlen müssen, nicht weil sie im Unrecht sind, sondern weil sie den Status-quo in Frage stellen, oder weil irgendein "Anti-helden" sich dazu berufen fühlt, den Helden zu bremsen.
Wie aktuell ist also in unserer Zeit die Uraufführung des Ballets "HELDEN" von Terence Kohler? Frische Luft vielleicht in einer Zeit, die der ständigen schlechten Nachrichten über Krise und wieder Krise müde ist. Solange es eine Welt gibt, wird es Helden geben, da besteht kein Zweifel, und wer wäre ein besseres Symbol dafür als Prometheus, der größte Rebell unter all den Helden der griechischen Mythologie?
Terence Kohler hat mit seinem sicheren Gespür für Musik, Dramaturgie und Tanz, das sich genau an der Grenze zwischen Klassik und Moderne bewegt, also in der Neo-Klassik, die beste Story und die am besten dafür geeignete Musik ausgesucht. Die Genialität seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Rosalie und die Perfektion des herrlichen Ballett-Ensembles der bayerischen Staatsoper haben dann ihren Teil dazu beigetragen, um seiner Idee grossen Erfolg zu bescheren.
Die gestrige Premiere war eine Apotheosis, nicht nur für die vier Protagonisten, sondern auch für das Ballet-Ensemble, das wie der Chor einer altgriechischen Tragödie eine wichtige Rolle gespielt hat. Es war obendrein auch eine Apotheosis für das Orchester, den Dirigenten, den Choreografen und, was so selten passiert, sicherlich auch für die Komponistin, deren Werke gestern aufgeführt wurden. Was für ein grossartiger und seltener Moment, eine Komponistin auf der Bühne zu erleben, und vor allem, wie ungewöhnlich für einen Ballet-Aufführung! Lera Auerbach, die 39jährige russische Komponistin, die in New York lebt, hat selbst erleben können, wie ihre gigantische Musik teilweise den Tanz der Titanen Prometheus und Epimitheus und der Göttinen wie Athene begleitet hat. Ja, gestern, das war nicht nur ein Ballet-Abend. Es war ein Fest auch und vor allem der Musik, die ihren szenischen Ausdruck auf eine natürlichen Weise im Tanz findet. Auch die Kompositionen von Alfred Schnittke erwiesen sich dafür als eine perfekte Wahl. In klassischen Mustern beginnend, lässt er seine "Concerti grossi" langsam harmonisch entarten, fremdartig klingende Musik kommt hinzu, Freiheit der Klänge und Formen, die aber dennoch nicht in chaotischer atonaler Musik enden: Es ist eine neue Musik, deren  kraftvolle Schwingungen im Körper wirksam werden, die immer noch alle mögliche Gefühle der menschlichen Seele ausdrückt, Freude, Schmerz und Verzweiflung, die Liebe und das Mitleid. Sie ist Rythmus, Tanz, sie ist Gefühl und Leidenschaft. Alles das ist sie, aber klanglich nicht in den gewohnten und bekannten Grenzen. Die Musik von Schnittke ist eine grenzen-erweiternde Musik und beweist sich als eine unglaublich gute Wahl für Kohlers Ballet mit dem Titel "Helden". Das Orchester der Staatsoper hat Wunder gewirkt. Eine präzisere und bessere Exekution konnte man sich nicht wünschen. Dies gilt ebenso für die gewaltige, klanglich unglaublich reiche und atmosphärisch Musik der Lera Auerbach: Auch hier werden Grenzen gesprengt. Erst einmal, weil sie das klassische Orchester mit Instrumenten bereichert hat, die normalerweise nicht dazu gehören. Eine singende Säge, ein Thermonin (mit diesem typischen Sci-Fi Klang)! Und dann auch noch die bemerkenswerteste aller Grenzerweiterungen, nämlich eine Frau als Schöpferin und Genius, die den Konservativen eindrucksvoll beweist, dass das Komponieren nicht ausschließlich eine männliche Domäne ist!
Das Publikum sollte natürlich mit den mythologischen Gestalten der vier Protagonisten halbwegs vertraut sein, bevor es ins Theater geht, da der Tanz zwar symbolisch alles schildert, aber dem Unwissenden sicherlich Rätsel aufgibt. Das "Feuer" zum Beispiel wird durch zwei LED-Lampen an den Handgelenken der Tänzer und Tänzerinnen dargestellt. Treffende Idee, vielleicht der Rosalie, der Bühnenbildnerin, die sich für die Aufführung offenbar vom dem Film "Prometheus- dunkle Zeichen" inspirieren lassen hat. Feuer damals, heute die "magische" Kraft unserer Hände, unseres Geistes, in Lichtspiele transformiert.
Aus dem Film "Prometheus - Dunkle Zeichen", Ähnlichkeit mit Rosalies "Helden"
Prometheus erträgt die Diktatur von Zeus nicht, seine elitäre Haltung und der Drang, alles unter seiner Kontrolle zu haben, die Menschen als nichtig zu betrachten, von ihnen Ehrerbietung und Opfer zu verlangen und ihnen schließlich das Geschenk des Feuers zu verweigern. Der Titan, der aus Liebe entflammt, kann das nicht ertragen. Mit Hilfe der Weisheitsgöttin und Tochter des Zeus, Athene Parthenos, die Jungfrau, (welche Parallelen zur deutschen Saga der Brünnhilde, Wotan und Siegfried), lehrt er die Menschen die Künste und schenkt ihnen das Feuer. Der Mythos wird im Ballet mit der Geschichte des Epimetheas verknüpft, dem Bruder des Prometheus, der vergeblich den Wahn seines Bruders zu zähmen versucht, und seiner Gemahlin Pandora, ebenfalls ein Geschenk der Götter, um die Menschen zu vernichten, eine wunderschöne weibliche Gestalt, die eine Büchse voll Unheil mitbringt. In dieser Weise verbindet Kohler die Gabe des Feuers mit der Erscheinung der katastrophalen Büchse, das absolut Gute der Entwicklung mit der Erscheinung von Krankheiten, von Kriegen und jeglichen Übels für die Menschheit. Aber dem zweiten Teil des Balletts (Epimitheus) folgt noch ein dritter, der an die Erscheinung der Hoffnung erinnert, die Hoffnung, die am Grund der Büchse bleibt und der Menschheit das Überleben ermöglicht. In der Vision von Kohler ist diese Erlösung eine Befreiung der Menschheit durch einen ritualen Tanz, egal, ob es nun der Tanz Shivas oder das Sema der Sufis ist, ein Tanz ist auch wie ein Gebet, das wieder Ordnung und Schönheit in den Kosmos bringt.
Ich finde, dass Kohler noch eine weitere Grenze gesprengt hat, und das hat mit der Dramaturgie zu tun. Das Ballet ist in drei Teile geteilt. Es wird die selbe Geschichte erzählt, das Erwachen der Menschheit, die Degenerierung der Menschheit, die Erscheinung der Hoffnung, das Überleben. Jedes der drei Teile zeigt die ganze Geschichte aus einer anderen Sichtweise. Das erste Teil konzentriert sich auf Prometheus. Irgendwann erscheinen während des ersten Bildes auch Pandora und Epimitheas auf der Bühne, aber wir können es nicht erkennen, wir bleiben mit der Frage zurück, wer diese Gestalten wohl sind. Bis wir sie im zweiten Teil wieder erkennen, aus einem anderen Blickwinkel erzählt. Wir werden auch Bewegungen aus dem ersten Teil im zweiten wieder sehen, aber wir befinden uns in der Geschichte aus dem Blickwinkel von Epimitheas. Und im dritten Teil, die Göttin und Freundin von Prometheus, Athene, von dem Leid der Menschheit nicht korrumpiert, aber mitfühlend, durch ihren klaren Verstand und ethische Stärke inspiriert, drängt in einem geistigen Ritual die ganze Menschheit zum Aufstehen, zum Aushalten. Die Musik, die hier in einer berührenden Weise ausserordentlich passt, das "Ritual" von Schnittke, mit ganz tiefen Tönen des Schlagzeuges und der Bläser beginnend und in extrem hohen, filigranen Tönen eines Vibrafons endend, wirkt aufsteigend und erhebend. Grandios war dieses Finale, mit dem Aufstieg des Chores der Menschheit, einzeln am Anfang und am Ende erheben sich alle und tanzen zusammen mit der jungfräulichen Göttin, die sie schließlich zu einem kosmischen Lachen animiert, die dann weiter allein mit dem Licht tanzt, bis die Musik gleichsam ins Nichts entschwindet, fast unhörbar wird, in höheren Sphären aber weiter klingt und tanzt. Schnittke hat das Werk als Erinnerung an die Opfer des 2en Weltkrieges geschrieben. Es greift sehr tief in der Seele...
Eine letzte Grenze die gesprengt wurde und die mich auch zum Lachen gebracht hat, war die ungewöhnliche Tatsache, dass die Tänzer zu SPRECHEN begannen! So haben Epimitheus und Prometheus in einer fiktiven Sprache wahre Wortgefechte geführt. Und das Ensemble hat am Ende seines Tanzes wirklich gelacht. Dieses Lachen hat so wunderbar zur Musik von Schnittke gepasst. Es hat seine Musik mit Liebe und Sinn erweitert. Na, endlich mal! Wer hat gesagt, dass der Schauspieler nicht singen oder tanzen darf, der Sänger nicht sprechen oder spielen, der Tänzer nicht sprechen oder singen? Eine Grenze wurde gesprengt. Was auf der Bühne passiert, soll heute keine Grenzen mehr haben, der Darsteller sollte alles dürfen, schreien und tanzen, singen und weinen, alles was ein Mensch auch in seinem Alltag machen kann.
Was kann man über die Solisten und das Ensemble schreiben? Sie waren immer und werden immer ausserordentlich sein. Lukas Slavicky gehört, seitdem ich ihn zum ersten Mal in "the Tempest" (nicht als Prospero, sondern als Ferdinand) gesehen habe, zu meinen Lieblingstänzer. Ich habe schon damals sein dramatisches Talent erkannt und wünschte innerlich dass er bald komplexeren Rollen tanzen darf. Der Direktor des Ballets hat es auch erkannt: als Goldene Sklave (Sheherezade) war er brillant.  Mit Prometheus jetzt, den rebellischen Einzelgänger, kann er auch sein vielseitiges Talent zum Vorschein bringen mehr als die süssen romantischen Helden. Und er hat noch viel Potenzial, die komplexeste Rollen zu tanzen. Eines Tages möchte ich ihn als Mayerling tanzen sehen. Als Prometheus ist es ihm perfekt gelungen den kalten, bisschen arroganten Frankenstein-mässigen Helden zu spielen, aber mit Kraft und Leidenschaft ist er bis zum Schluss, konsequent an dieses Bild geblieben. Bravo. Brava auch seine Partnerin, Emma Barrowman in der Rolle der Athena Parthenos. Sie hat ihre Rolle faszinierend gebildet, eine starke Heldin, die aber hinter der starken Fassade auch zerbrechlich sein kann: für diesen so gelungenen Kontrast ihrer Rolle, aber auch für die Feinheit und Klarheit ihrer Bewegung, hat sie den grössten Applaus gestern wirklich verdient. Sehr gut haben auch Ilia Sarkisov (als menschlicherer Epimitheas) und Katerina Markovskaja (Pandora) getanzt. Diese letzte könnte vielleicht ein bisschen mehr ihre Rolle vertiefen. Eine Pandora gehört zu den fatalsten weiblichen Gestalten der Welt-mythologie. Eine Lulu wurde von ihr inspiriert. Die zierliche, süsse Russin war vielleicht zu kindlich, zu wenig heldisch, sagen wir so. Das Ensemble schliesslich hat sich mit Liebe engagiert, man hat sofort das gute Arbeitsklima -das in diesem Theater herrscht- gespürt. Echt tolle Gruppe.
Helden brauchen wir, also lassen wir uns auch durch diese wunderbare Aufführung (sie wird noch bis zum Ende des Sommers oft wiederholt, also nicht verpassen!) wie durch eine Lichtfackel inspirieren und am Ende lachen und wieder hoffen. Die Welt wird nie untergehen solange es Menschen gibt, solange es Götter gibt, und vor allem, solang es Helden gibt!

Donnerstag, 11. April 2013

Ein Abend im Tempel des Apollo

die Bläser des Orchesters am Ende des Konzerts, in der Mitte Andreas Schablas- Klarinette
Dienstag 9. April 2013, 4es Akademiekonzert in der Bayerischen Staatsoper. Mozart´s Klavierkonzer Nr. 20, d-moll, KV 466 und Mahler´s 7e Symphonie. Rudolf Buchbinder am Klavier, Hanus Tomas dirigierte.




Welch ein Glück für den Münchner Gast, der nach Kultur hungert, nach Spektakel und vor allem nach guter Musik! Das Niveau der Künstler in der bayerischen Metropole erreicht fast die Sterne, und wenn es um Musik geht, erklingen hier beinahe himmlische Pythagoräische Harmonien und eine von Imperfektion befreite Seele. Wenn der Mensch nach Musik hungert, nach Schönheit der Klänge, nach Inspiration, dann braucht er nur über die Schwelle der Münchner Staatsoper zu treten, und er kann sicher sein, dass ihn dort ein berauschendes Erlebnis erwartet. So voll freudiger Erwartung war ich gestern auch, als ich für eine kleine Summe ein Ticket für die Galerie gekauft habe (um dem Vorurteil der „ewigen Nörgler“ entgegen zu treten, dass Konzerte mit Klassischer Musik zu teuer seien). Wie stets, erfasste mich ein beinahe weihevolles Gefühl, als ich an den Spiegeln und den Ölgemälden berühmter Kammersänger vorbei ging, meine Schritte über das Parkett des klassischen Foyers lenkte und die Stufen zu meinem Platz in der ersten Reihe der Galerie empor stieg. Erinnerungen an meine Studienzeit in Wien und in Mailand kamen mir in den Sinn. Damals hörte ich so oft wie möglich in der Galerie alle Opern und Konzerte und erlebte viele große Sänger und Sängerinnen, die meine Träume von musikalischer Perfektion beflügelten und mich in meinem Wunsch bestärkten, es ihnen gleich zu tun. Ich hatte stets die gleichen Genossen in der Galerie, meist Studenten, leidenschaftliche und sachkundige Zuhörer, die es am Ende furchtlos wagten, ein Bravo zu rufen oder auch einmal ein Buh, weil sie mit dem Herzen und geschlossenen Augen bis zur letzten Note zugehört haben.Dieses für eine Galerie typische Publikum habe ich auch gestern um mich gehabt. Während des wunderbaren Konzertes habe ich mich öfter umgesehen nach jenen Menschen, die mit geschlossenen Augen genossen haben, die kurz vor dem großen Crescendo des Orchesters schon zu tanzen begannen, die mitgelebt, mitgeweint und selig mitgelächelt haben. Mein Blick ruhte öfter auf einem blinden Mann hinter mir. Er hatte nur einen Stehplatz, die blicklosen Augen hinter den dunklen Gläsern irgendwo in Richtung Bühne gerichtet, als würde er sehen können, und es war klar, dass er sich voll der Gewalt der Musik hingab. Mozart und vor allem Mahler haben sicherlich seine Sinne berauschen können, aber vielleicht war Mahler für ihn sogar zu gewaltig: Irgendwann nach dem dritten Satz der siebten Symphonie habe ich seinen Platz leer gefunden. Aber bevor ich mich mit der Musik Mahlers befasse, möchte ich über den ersten Teil des Konzertes berichten. Das erste Stück des vierten Akademiekonzertes vom Dienstag, den neunten April 2013, war das Klavierkonzert in D-moll von Mozart, KV 466.Ich kenne mich mit den Köchel-Verzeichnis-Nummern nicht so aus und es ist mir egal, welches Klavierkonzert von Mozart gerade auf dem Programm steht, alle sind wunderschön und alle "Mozart". Obwohl ich sie gut kenne, bin ich immer wieder überrascht wenn ich die eine oder andere berühmte Melodien wieder höre. Mozart hat für das Klavier einige seiner schönsten Kompositionen geschrieben, ein Romantiker, der seiner Zeit deutlich voraus war. Und das Klavierkonzert in D-moll, eines seiner reifen Werke, ist voll mit Dramatik und Leidenschaft, fast „Sturm und Drang“, glänzt aber dann auch wieder mit viel Lyrik und Eleganz, wie z.B. der berühmte zweite Satz, die „Romanze“, (bekannt auch aus der Schlussszene des Films „Amadeus“).Wie schön passend zu dieser Musik des Wahnes, versteckt hinter einer eleganten Klassik, die Beethovenschen Kadenzen! Ich bin mir aber nicht sicher, ob nicht der Solist des Abends, der berühmte Mozart-Interpret Rudolf Buchbinder, diese Kadenzen mit eigenen musikalischen Ideen erweitert hat. Die Klänge erschienen mir allzu modern, und ich war fast sicher, dass es seine eigenen Modifikationen waren, als im dritten Satz eine aus dem Violinkonzert von Mendelsohn bekannte Melodie erklang. Lustig war es, machte Spaß und schenkte Lebenslust, dieser charmante, reife Künstler am Klavier, der so genussvoll sein Haupt in Richtung Orchesters neigte, als würde er es mit seiner ganzen Aura dirigieren wollen. Der charmante Österreicher spielte mit Klasse und Routine. Manchmal hatte ich allerdings das Gefühl, er spiele meinen Lieblingskomponisten vielleicht ein wenig zu laut. Ich habe die Feinheit und Sensibilität einer Michuko Uchida, eines Geza Anda vermisst, aber trotzdem mochte ich Buchbinders elegantes, genussreiches Spiel und ich empfand es als Ehre, dass ich diesen großen Pianisten endlich mal live erleben durfte.
Das Orchester leitete der tschechische Dirigent Hanus Tomas, der einerseits bescheiden, andererseits leidenschaftlich musiziert: Beide Eigenschaften machen aus ihm einen wunderbaren Künstler, der vom Münchner Publikum mit viel Wärme  empfangen wurde. Er ist allerdings noch sehr jung und wird noch reifen müssen. Ich habe nämlich gemerkt, dass das Orchester fast nie auf ihn geschaut hat, was mich überzeugte, dass sie eher aus eigener Erfahrung als unter seiner Leitung gespielt haben. Ok, dieses elitäre Orchester ist so sicher und routiniert, dass es fast keines Dirigenten bedarf. Selten befinden sich auf dem Podium Dirigenten, die mit ihrer Persönlichkeit, ihrem tiefen musikalischen Verständnis und ihrer gereiften Vorstellung von Interpretation dieses Weltklasse- Orchester dominieren können und dem Publikum große Erlebnisse schenken. Hanus Tamas hat die Vorausetzungen, einer von diesen Dirigenten zu werden. Dafür aber sollte er nichts „aus Angst schaffen“ oder zumindest "keine Angst davor haben, auch einmal verflucht zu werden", wenn er „Musik für die Zukunft“ schaffen will, um Verdi zu zitieren, der in seinen Briefen jungen Dirigenten solche Ratschläge erteilte. 
Nach der Pause hat ein riesengroßes Orchester die siebte Symphonie von Gustav Mahler gespielt. Ich habe noch nie so viele Instrumente auf einer Bühne gesehen. Allein die Bläser wären zahlreich genug gewesen, ein eigenes Orchester zu bilden, und waren es nicht sieben oder gar acht Schlagzeuger dahinten, die mit ungewöhnlichsten Glocken und Perkussionsinstrumenten gespielt haben, mit Gongs und vielen Trommeln? Und selbst eine kleine Mandoline und eine Gitarre haben geduldig auf ihren Einsatz gewartet, um im dritten Satz ein Paar Melodien zu spielen. Als ich mich kurz bei „Wikipedia“ darüber schlau gemacht hatte, dass Gustav Mahler diese Symphonie mit Naturklängen füllen wollte, konnte ich mir den Klangreichtum dieses Werkes und den Einsatz der ungewöhnlichen Instrumente erklären ... Dennoch denke ich mir, dass er vielleicht ein bisschen übertrieben hat! Wo findet man so viele Spitzenmusiker und wie viel kostet eine solche Aufführung?! Extrem schwierige Musik, die dieses unwahrscheinlich elitäre Orchester mit göttlicher Präzision gespielt hat. Ich habe jede Minute genossen, auch wenn die Musik mir völlig unbekannt war. Starke Momente haben mich oft überrascht und die Nachtstücke (2. und 4. Teil) haben mich zu Träumereien mit Bildern nächtlicher Landschaften von Berg und Wald verführt. Mahler soll auf der Suche nach Inspiration angeblich Teile dieser Partituren in den Dolomiten komponiert haben. Diese Musik, wie alle Werke Mahlers, ist so „dionysisch“, so sinnlich, aber auch so geistreich und ekstatisch, dass ich mir vorstellen kann, dass Wagner anders über die jüdischen Komponisten gedacht haben würde, hätte er Mahler seinerzeit hören können. Da gibt es so viele Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Komponisten, auch wenn Mahler manchmal morbider klingt. Ich kann also an der Qualität der Aufführung der siebten Symphonie nichts weiter bemängeln als die Tatsache, dass das Orchester an manchen Stellen wirklich viel zu laut gespielt hat. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ziemlich viele Zuschauer noch während der Vorstellung den Saal verlassen haben. Ich hatte das Gefühl, dass mir jeden Moment die Trommelfelle platzen würden! Und ich bin sicher, es lag nicht nur an der Akustik in der Galerie, die berühmt für ihre Perfektion und Fülle ist. Diese Lautstärke kann vielleicht auch der Grund dafür sein, dass die Orchestermitglieder auf mich so frustriert wirkten. Sie haben diese lange, schwierige Symphonie auch am vorigen Tag schon gespielt und es muss ziemlich anstrengend gewesen sein. Ich habe mit Aufmerksamkeit und Neugier jeden einzelnen Musiker beobachtet, um zu sehen, wie sie die Musik spüren, während sie spielen. Ich muss gestehen, die meisten wirkten auf mich wie routinierte Beamte, sie spielten perfekt aber leblos, die Köpfe müde nach unten geneigt, auf das Notenpapier konzentriert ohne ein äußerlich sichtbares Zeichen der Leidenschaft. Gottseidank gibt es immer Ausnahmen, wie zum Beispiel die Erste Klarinette. Ein Musiker, der sein Instrument stets mit derart lebendigen, tanzenden Bewegungen gespielt hat, (er hatte viele Einsätze in diesem Werk, wie übrigens alle Bläser) dass er sofort die Aufmerksamkeit das Publikums auf sich gezogen hat, auch in der Galerie, so hoch und entfernt. Wie sehr hat er seine Musik auch sichtlich körperlich gespürt und wie großzügig hat er dieses leidenschaftliche Empfinden weitergegeben. Mit seinem Kopf und seiner ganzen Haltung nach oben spielend, auch in meine Richtung und die aller anderen Zuhörer auf der Galerie, und für diese Kommunikation bin ihm dankbar. Andreas Schablas lautet der Name dieses Musikers, tatsächlich eine Soloklarinette, wie ich auf der Website der Staatsoper lese. Eins von den schönsten Dingen, die ich in der Opernschule gelernt habe ist, dass man mit dem Kopf stets nach oben, in Richtung des Himmels und auch in Richtung der Galerie singt, für die Fans, die mit solcher Hingabe ins Theater kommen, ohne über viel Geld zu verfügen wie die Herrschaften im Parkett. Ja, für sie und die Engelsscharen singt man, und mit dieser Richtung nach oben hat man auch eine tolle Körperhaltung, wirkt man schöner und lebendiger. Also, meine Damen und Herren des Orchesters der Bayerischen Staatsoper, die ihr so schön spielt dass man euch in der ganzen Welt bewundert: Freut euch ein bisschen sichtbarer über die Schönheit der Musik, die ihr schafft und über das große Glück, das ihr habt, in diesem tollen Theater, mit so tollen Kollegen, so tolle Musik spielen zu dürfen. Für mich war es auf jeden Fall ein unvergessliches Konzert. Danke, München!

Donnerstag, 14. Februar 2013

ein philosophisches Sci-fi: Das Nazaret Project


Verschwörungstheorien, okkulte Pläne von Menschen, die das Schicksal des Planeten in ihren Händen halten, ideologische Kriege etc. sind beliebte Themen in der Literatur unserer Zeit. Das Verborgene ist geheimnissvoll und spannend. Und wenn es irgendwie mit der aktuellen kritischen weltpolitischen Situation im Zusammenhang steht, ist es noch interessanter. Wir sind politische Wesen, und wenn die Kunst neben der reinen Unterhaltung noch Stoff zum nachdenken anbietet um die Lebensqualität zu verbessern, hat man noch einen Grund mehr, ein Buch zu mögen. Irgendwie habe ich dieses „Nazaret Projekt“ gemocht, und ich denke nicht nur, weil es eine interessante Geschichte ist, die bis zum Schluss die Spannung hält,  oder weil es ziemlich unkonventionell geschrieben ist. Ich habe es geliebt weil es indirekt zu mir gesprochen hat, als wäre es ein weiser Freund, der mir seine Lebensessenz mitteilen wollte. Das was er –nach langer Erfahrung- als tiefste Ursache für das Leid in der Welt hält. Während ich dieses Buch las, wusste ich (anders als beim „Da Vinci Code“ oder der „Illuminatus-Trilogie“, denn Nazaret-Projekt gehört in dieses Genre), dass es nicht nur um eine unterhaltsame Geschichte geht. In ihrem „spirit-of-the-seventies-style“ wirkt sie ein bisschen psychedelisch, ein bisschen esoterisch, auf jeden Fall sehr rebellisch.
Hanfs Protagonisten scheinen keine echten Personen zu sein. Er beschäftigt sich nicht mit ihrer Seele, ihren Gefühlen und ihren Beziehungen als Individuen. Sie haben auch oft unmögliche, symbolische Namen und sind Marionetten in einem höheren politischen Spiel. Genau dieses Spiel ist der eigentliche Protagonist des Romans. Letzten Endes ist es das Thema der Religionen, das Heinrich Hanf am Herzen liegt, das vielleicht ein Teil der Verantwortung für die politischen Probleme der Welt trägt und nicht die Geschichten von bestimmten fiktiven Individuen, Protagonisten von unzähligen andere Romane. Aber warum ist Heinrich Hanf so gleichgültig über seine Menschen? weil er einfach so ist! Anders als die anderen. Sein Roman ist eine Geschichte der Ideen, sie sind die Protagonisten. Mit Spannung bis zum letzten Satz führt uns der Autor durch den Plot, aber nebenbei verstehen wir langsam, dass es hier um Philosophie (Liebe der Weisheit) geht. Dazu trägt auch die originelle Gliederung der Kapitel bei. Die Handlung wechselt wie in einem Film von einem Ort zum anderen, vom Westen zum Osten, vom Norden zum Süden, mit einer Parade der unterschiedlichsten Personen, Mythologien, okkulten Organisationen und Religionsführer. Zwischendurch immer wieder ein kurzes Kapitel mit einer Referenz an die Tage der Schöpfung (Genesis genannt), wie Intermezzi zwischen den verschiedenen Akten eines Dramas, quasi eine Meditation, eine ruhige Pause des Nachdenkens, die mich irgendwie an die langatmigen Momente im Weltall in dem Film „Oddysee 2001“ erinnern. Ein transzendentaler Kommentar des Autors zur Handlung, als wäre alles schon von Gott geplant, als wäre alles was wir erleben nur ein Spiel, das er mit seiner Schöpfung treibt.
Aber am Ende und nur in den allerletzten Sätzen verstehen wir plötzlich und unerwartet, worum es wirklich geht. Wie ein Kaltbad, ernüchternd und kathartisch, kommen ein paar Zeilen in einer starker Sprache, die den Leser mit einem komisches Gefühl des „Unvollendeten“ zurück lassen. War das Absicht? Warum fehlt ein letztes Kapitel mit dem siebten Tag der Genesis? Soll etwa noch ein zweiter Teil des „Nazaret Projektes“ erscheinen, weil der Sonntag der Schöpfung nicht mehr erwähnt wird? Über den Tag, an dem der Herr geruht hat, gibt es offenbar nichts mehr zu schreiben. Der Mensch ist frei, weiter seine eigene Geschichte zu schreiben, er ist auch frei sein Leben selbst zu gestalten, und mehr hat Hanf nicht zu sagen: In diesem letzten Abschnitt ist alles gesagt, kalt und streng. Der Rest ist Geschichte, die wir selbst schreiben.
Heinrich Hanf ist zweifellos ein Philosoph. Er liebt es, über den Sinn des Lebens nachzudenken, aber er scheint auch ein realistischer Menschenkenner zu sein. Fern von jedem romantischen Ideal des Supermanns, beschreibt er die menschlichen Schwächen ohne jedes Gefühlsengagement mit leisem Zynismus, aber doch mit viel Humor. Sein Mensch lässt sich leicht von Ideologien manipulieren und für eine absurde Idee kann er sogar Atomkriege führen. Dessen Schicksal als Individuum liegt in den Händen von Priestern und Politikern. Mit seinem satirischen, „Quasi-Komik-Stil" (eben „illuminatus-trilogie“ ähnlich) klagt er gegen die Allmacht der Religion über das menschliche Bewusstsein. Seine Kritik übt er mit der Kraft des Humors, dieser zynische Philosoph, Hanf. Man lacht über die paranoiden Charaktere, die sich selbst so ernst nehmen, den Berlusconi ähnlichen Protagonisten, über den fanatischen Priester, die devote, an ihre Berufung glaubende Klosternonne, und auch über die Kinderfigur des neuen Messias lacht man, obwohl rund um diese Protagonisten der Terror einer apokalyptischen Zeit herrscht, nämlich der heutigen.
Das Buch wurde schon vor etlichen Jahren geschrieben, das sieht der Leser sofort. Die Terror-Angriffe auf die Zwillingstürme des Worldtradecenters sind die initiale Inspirationsquelle für den Schriftsteller. Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seitdem er es verfasst hat, aber dass es erst jetzt erscheint, im Dezember 2012, ist vielleicht nicht zufällig: Das berühmte Ende der Geschichte laut dem Maja Kalender ...
Also, hier haben wir ein philosophisches Traktat und nicht nur eine spannende Science-fiction Geschichte mit religiösen Inspiration. Auf beiden Gebieten trotzdem beweist Hanf sein Talent. Er hat einen Haufen Einfälle und seine Fantasie kennt fast keine Grenzen. Schon die zentrale Idee, den Jesus zu klonen, um die Wiedererscheinung des Erlösers getreu den apokalyptischen Texten zu ermöglichen, ist interessant. Das und andere Elemente des Plots weisen auf gute wissenschaftliche Kenntnisse hin, deshalb findet der Roman seinen guten Platz in der Science-Fiction-Literatur. Ich finde es auf jedem Fall bewundernswert, wie er Wissenschaft mit Spiritualität verbindet. Hanf der Wissenschaftler verneint die Existenz Gottes nicht, auch wenn er die Spiele der Religionen ablehnt und belächelt, weil sie feindlich gegenüber der Wissenschaft und der echten Spiritualität sind.
Aber diese Mischung aus Science-Fiction und geistigem Werk ist nicht das einzige Ungewöhnliche und Interessante in diesem Buch. Hanf ist kein Autor der leichten Muse, auch wenn er sie so gerne vertritt. Seine Bücher sind nicht pure Belletristik, sie sind echte Literatur. Er erzählt nicht nur in Wörtern. Hinter den Zeilen gibt es etwas, das man in einem Fantasy- oder Science-Fiction-Roman nicht erwartet. Da ist Poesie, die Kunst mit der Sprache so umzugehen, dass eine Magie entsteht, welche die Seele berührt. Die Beschreibung einer Landschaft oder einer Bewegung sind mit einer Aura umgegeben, die ich nicht anders nennen kann als „Schönheit“. Es geht um die Liebe zur Kraft (oft auch eine musikalische Kraft) der Wörter. Es ist etwas, dass einen Meister der Sprache auszeichnet und mit dem er seine Leser in die Bahnen paralleler Welten einweiht. Man lässt sich aber gerne von ihm führen. Nur als kleines Beispiel, wie er die Schönheit und Gewalt des grauen Hafens von Stockholm in einem einzigen Satz beschreibt:
„Schiffsmasten und qualmende Schlote, stinkende Dieselaggregate, mächtige Kranausleger, endlose, bunte Reihen gestapelter Container, vom nächtlichen Fangzug zurückkehrende Fischerboote, emsige Bugsierschlepper, riesige Lastwagen auf den Kais und tief im Wasser liegende Frachtschiffe, die salzige Seeluft gleichermaßen erfüllt mit dem Geruch von Wehmut und Abschied, ungewisser Ferne, wilder Freiheit und Abenteuer, Dieselöl, Fisch, Verwesung und Wiederkehr; Sie war erfüllt von einer Kakophonie aus unterschwelligem Hämmern, Knattern, Kreischen und Dröhnen und über all dem die höhnischen und aggressiven Schreie ewig kreisender und ewig hungriger Seemöven.“ Das nenne ich Kunst.
Eine beeindruckende Sprache hat dieser geduldige Handwerker der Schrift, die wahrscheinlich sehr schön auch in einem realistischeren, vielleicht historischen Roman passen würde.
Ich bin neugierig darauf, die nächsten Arbeiten des Schriftstellers zu lesen. Ich habe nämlich eine Frage. Ist es sein Markenzeichen, sich nicht in die Emotionen seiner Protagonisten zu vertiefen, sie nur als Objekte in einer philosophischen Studie zu beobachten? Von da oben gesehen, aus der Sicht der Science-Fiction, was eigentlich ist der Mensch mit seinen kleinen Emotionen, seinen kurzen Liebesgeschichten, Wutanfällen und Leiden? Alles das ist vielleicht unwichtig, und das einzige was bleibt ist das Ergebnis unseren Taten in dieser Welt. Ist Hanf der totale Leugner einer unnötigen Romantik, deren übertriebene Gefühle Generationen von Künstlern in den Tod geführt hat, genau wie die fanatischen Anhänger einer Religion? Wahrscheinlich folgt die zynische, emotionsferne Erzählweise Hanfs konsequent seiner persönlichen Weltanschaung. Emotionalität macht Menschen manipulierbar. Klar und frei von jeder Emotion ist die Erzählung von Hanf, ja, wahrscheinlich ist das eines seiner Merkmale. Eine romantische Liebesgeschichte erwartet man in seinem Roman vergeblich (die letztlich auch in einer Science-Fiktion zu finden ist). Der unkonventionelle Autor wird auf solche Leser-(besonders Frauen) anziehende Tricks verzichten. Trotzdem und letztendlich schreibt Hanf über die Liebe, ja, es geht ihm eigentlich um die Liebe in seinem Buch. Die Liebe, von der jeder echte spirituelle Meister spricht und die durch jegliche Religion korrumpiert wird. Hanfs Liebe zum Menschen ist am Ende des Buches zu spüren trotz der Satire.
„Liebe verankert Wissen“ manifestiert einer der Protagonisten der Geschichte, ein spiritueller Meister, und außerdem der Einzige in dieser Geschichte, den die kaustische Schrift von Hanf ungeschoren lässt. Und so verblieb ich eigentlich nicht unzufrieden, als das Buch plötzlich ohne einen siebten Tag der Genesis endete. Was ich erfahren musste, habe ich erfahren. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Aber wenn ein Nazaret Projekt Nummer Zwei folgen sollte, werde ich es gespannt erwarten und mit Freude lesen.

Die "Piazza Grande" der Pasinger Fabrik


Die Pasinger Fabrik ist einer der erfolgreichsten alternativen kulturellen Treffpunkte der Stadt, weil sie einen Gegenpol zu den großen Bühnen und Konzerthäusern mit ihren weltberühmten Standards bildet, in Punkto Programmgestaltung aber gleichzeitig dem hohen Niveau der Metropole ebenso gerecht wird. Dieses ehemalige Fabrikgebäude bietet unter einem Dach mehrere schöne, zweckmäßige Räumlichkeiten bzw. Bühnen und ist darüber hinaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch noch ideal und schnell erreichbar.
In der Pasinger Fabrik läuft mit Erfolg seit mehr als zehn Jahren die kleinste Oper der Stadt,  die schon die „Startrampe“ für mehrere ausgezeichnete Künstler war. Es scheint, dass der Intendant dieser städtischen Einrichtung ein gutes Gespür für künstlerisches Potenzial hat und Weitblick besitzt.
Den weiteren Garant für Erfolg bietet ein aufmerksames und großzügiges Publikum. Es ist ein offenes, freundliches und genießerisches Publikum, das die Pasinger Fabrik treu besucht. Ebenso wie die kleinste Opernbühne Münchens ist auch die angrenzende, kleinere Bühne der Pasinger Fabrik Anziehungspunkt für ein besonderes Publikum, für Kenner und Liebhaber von Musik, Theater und Tanz jeglicher Couleur.
Die sogenannte „Kleine Bühne“ in der Pasinger Fabrik (es gibt nämlich zwei) ist tatsächlich klein und wirkt mit nur knapp hundert Plätzen gemütlich und intim. Die warme Atmosphäre erinnert an die Black Box im Gasteig oder das i-Camp in Giesing. In so einem Raum kann die Magie der Beleuchtung und anderer technischer Effekte unmittelbar und höchst eindrucksvoll zur Wirkung kommen.
Eben diese Bühne war deshalb ideal für die Gruppe „Piazza Grande“, ein feines Musik-Quartett, das dort am Abend des 30. Januars mit einem bunt gemischten Repertoire Italienischer Musik zwischen Jazz und Volksmusik aufwartete. Unterstützt von den dezenten, geschmackvollen Licht-Effekten des Bühnentechnikers, der sein Metier offensichtlich liebt und wohlversteht, entfalteten die langen, teilweise jazzigen Improvisationen der Gruppe eine nahezu magische Wirkung.
Non plus ultra; Der Saal war an jenem Abend voll. Die Künstler lieben es wenn ein Theater ausverkauft ist, weil eine gute Atmosphäre während des Konzertes dann meist garantiert ist. Zahlreich anwesendes Publikum spricht zum Künstler, sagt:  "Ja, ich bin deinetwegen hier, bring mich zum Lachen und zum Weinen", die letzten leeren Plätze füllen sich, aller Augen sind erwartungsvoll auf die Bühne gerichtet, die Magie wird spürbar, das großzügige Spiel des Gebens und Nehmens zwischen Künstler und seinen Zuhörern beginnt.
Bemerkenswert war, wie wohl sich dieses schöne Publikum an jenem Abend offensichtlich gefühlt hat. Noch bevor das Konzert begann, hatte sich bereits eine fröhliche, altersmäßig sehr gemischte Gesellschaft im Restaurant versammelt und gönnte sich ein Glas Rotwein, um sich auf südliche italienische Songs im winterlichen München einzustimmen.
Das Publikum liebt es, wahrgenommen zu werden, selbst ein Protagonist zu sein. Und "Piazza-Grande" ist nicht nur ein Quartett das Musik macht, sondern
ein echter „Grosser Platz“ wo alle mitmachen können wie auf einer italienischen Piazza, wo die Musikanten einfach die richtige Atmosphäre zum „sich freuen“ schaffen.
Sie ist schwer zu katalogisieren, diese Musikergruppe, und ich denke, die Künstler wollen auch gar nicht in eine Schublade gesteckt werden. Sie machen Musik, aber eben auch Theater (übrigens erstaunlich, wie gut das Münchner Publikum die
Gags auf italienisch verstanden und darauf reagiert hat). Sie spielen
italienisch, aber doch deutsch. Sie machen Jazz aber doch auch Folk
und Rock. Sie machen Cover aber auch höchst interessante Eigen-Kompositionen. Sie sind Profis, aber sie wissen auch die Talente eines Laien zu schätzen und
zu nutzen. (Ich erkläre später was ich damit meine).
Wer an einem Abend mit Piazza Grande teilnimmt, der sollte keine Erwartungen haben, außer, dass diese Aufführung wie immer sehr spannend und unberechenbar sein wird. Und sehr lustig und genießbar obendrein, also genauso wie man sich eine echte „Notte Italiana" vorstellt. Empfehlenswert für jeden, der in „buona compagnia“ kommen möchte, und wer einsam ist, wird sich schnell in Gesellschaft von guten Freunden fühlen.
Die Band besteht aus drei Instrumentalisten, hervorragende Musiker, die sich um die Sängerin und Frontfrau Fabiola Schiavulli gruppieren. Einerseits wird ein anspruchsvolles Programm geboten, das die lange, gründliche Vorbereitung erahnen lässt, andererseits aber ist die Gruppe offen und jederzeit gut für spontane Improvisationen, für meist sehr lustige, unerwartete Intermezzi wie ein plötzliches theatralisches Auftreten der Sängerin, auf das selbst ihre Kollegen auf der Bühne sichtlich nicht vorbereitet sind.
„Piazza Grande“ erinnert an eine kleine Truppe der „Comedia dell´arte“ wie es in alten Zeiten vom Dorf zu Dorf im italienischen Süden reisten und Theater und Musik machten. Fabiola Schiavulli ist eine vielseitige Kommödiantin, die ein Publikum einfach nur mögen kann. Sie
schont sich nicht und hat eine gute Ausstrahlung, sie ist eine charismatische
Persönlichkeit und ihr nicht unbedingt schön zu nennendes Gesicht kann sich auf faszinierende Weise verwandeln. Fabiola hat jede Menge Einfälle und Ideen, die für eine spannende Show sorgen und sie ist selbst dann noch lustig, wenn sie über traurige Themen singt (was sehr typisch Italienisch ist).
Was ihre Stimme betrifft, so gehört sie zur Kategorie „cantautore/cantautrice“. Cantautori, also singende Autoren sind übrigens alle vier Musiker der Gruppe.  Wolfgang Obrecht, Heinz Müller und Thomas Korpiun spielen gelegentlich auch in anderen Gruppen, sie schreiben Musik und
Texte, komponieren. Heinz Müller ist ein Schriftsteller und schreibt unter Anderem auch Texte für Lieder und Musicals. Die Texte für Piazza Grande schreibt die Sängerin selbst, die Cantautrice Fabiola Schiavulli. Ihre Inspiration und Thematik bezieht sie aus dem alltäglichen Leben der einfachen Menschen, ob es die Italiener des tiefen Südens sind, oder ihre Landsleute, die hier in München leben und längst integriert sind, ohne dabei ihre Wurzeln verloren zu haben. Der sympathische bayerische Italiener wird so treffend und lustig dargestellt, ohne dabei kitschig oder geschmacklos zu werden. Für den, der kein Italienisch versteht, erklärt Fabiola vor jedem neuen Lied immer ein bisschen den Texte auf deutsch, absichtlich mit ausgeprägt italienischem Akzent, was sehr erheiternd auf das Publikum wirkt. Sie erwarten es fast, nach jedem „Stuck“ diese kleine Pantomime wieder zu erleben. Wolfgang singt am Ende eine eigene Version des „O Sole mio“ in italienisch gefärbtem Deutsch, als wäre er ein Italiener, der sich nach seiner Heimat sehnt.
Die Texte sind klug, lustig und manchmal leicht politisch, was das Ganze ein bisschen kabaretmäßig macht. Aber auch intim können sie sein: Einer der Liedertexte ist inspiriert durch die Tochter der Sängerin, Lebensweisheiten einer Mutter für ihre Tochter („bussa piano, parla forte“), ein anderes Lied spricht von einem erwachsenen Mann, der immer noch bei seiner Mutter wohnt, weil er nicht arbeiten will, ein Song erzählt von einem Mann, der zu seiner Frau mit Rosen und Erdbeeren kommt, um seine Untreue zu verbergen, ein weiteres Lied beschreibt jene gelangweilten Schwätzer, die abends vor ihren Häusern auf der Strasse sitzen und über die Vorbeigehenden tuscheln oder lästern.... Momente des menschlichen Lebens, rund um Liebe, Schmerz und Sehnsucht, präsentiert mit viel Humor und Brio, genau so, wie es die Italiener kennen (die Münchner auch, weil sie alle heimliche Italiener sind).
Das Publikum hat von Herzen mitgelacht, mitgesungen, applaudiert und am Ende sich ein paar Zugaben gewünscht. Der Erfolg des Abends war überwältigend. Es gab Momente, die sich jeder Künstler wünscht und die Piazza Grande für ihren außergewöhnlichen Charakter, die Wärme und die Großzügigkeit verdient hat. Alle vier Musiker haben mehrere „Rollen“ gespielt. Wolfgang Obrecht, die „musikalische Seele“ der Gruppe, der außer Keyboard (ein Spitzen-Jazzpianist) und Melodika auch atemberaubend Akkordeon spielt. Am Ende singt er sogar solo, ohne die typisch italienischen „Acuti“ (hohe Töne) am Ende auszusparen. Und dabei bleibt er durchaus sehr intoniert! Man hat den Eindruck, in seinen Adern fließt Musik anstatt Blut, er scheint eine Art kleiner Mozart zu sein, dieser Wolfgang Obrecht.
Heinz Müller, spielt - außer einem perfekt getimten Kontrabass - auch Gitarre bei mehreren Stücken und Thomas spielt nicht nur Schlagzeug, sondern nimmt am Ende auch die Ukulele in die Hand. Alle drei Begleiter der Fabiola singen oft im Chor. Aber
Auch Fabiola ist nicht weniger vielseitig, nur auf einer anderen Ebene, nämlich der theatralischen Darstellung. Einige im Publikum bezeichneten sie schon als eine echte „Rampensau“. Was mir als Stimmenspezialistin auffällt, ist, dass ihre Stimme eher im Text als in der Melodie ihre Blüte findet. Nicht dass ihre Stimme unwichtig wäre, sondern weil das Temperament und ihre Ausdruckskraft eher theatralisch ist. Fabiola hat eine dunkle, ausdrucksvolle Stimme, die dem Text Seele verleiht, und selbst die melodischen Passagen wirken, als wären sie eher gesprochen als gesungen. Trotzdem ist es eine gute Stimme, die mich manchmal an Georgio Strehlers Milva erinnert. Eine tiefe Alto-Stimme, die direkt aus dem Bauch kommt, bisschen intellektuell, ein bisschen verrucht (Schimpfworte werden nicht gespart), ein bisschen verrückt (in ein Megaphon als schimpfende Mutter schreien), sarkastisch aber auch sexy, also eine echte Kommödiantin, genauso wie ihre Landsleute Sofia Loren und Gina Lolobridgida, die lustige Showwomen waren.
Das Potenzial dieser Gruppe empfinde ich als enorm, da sie erst seit einigen Jahren in dieser Form auftritt. Die Band ist so alternativ, so anders als alles bisher Gehörte (in der großen Menge der italienischen Bands) und das garantiert einfach einen spannenden und interessanten Abend, der nicht nur bloße Unterhaltung, sondern auch echte Emotionen vermittelt. Sie spielen berühmte italienische Hits, aber auch eigene Lieder und bieten dabei Musik und Theater gleichzeitig. Jazz-, Blues-, und sogar auch Rap-Fans finden hier etwas für sich. Deutsche und Italienische Kultur mischen sich wie alles andere, jeder findet sich selbst dabei. Und alles was sie machen ist authentisch, mit gut ausgesuchten Stil und Respekt für die Musik. Selbst die traditionellen Stücke aus dem italienischen Süden, die Tarantelle oder Pizzicche (ein traditioneller Tanz aus Apulien, der Heimat der Sängerin) sind originell gespielt, mit ungewöhnlicher Begleitung, denn die Instrumentalisierung ist nicht pop-standartisiert.
Piazza-Grande bietet tatsächlich Musik auf höchstem Niveau, ein Niveau das wirklich auf eine Theater- oder Konzertbühne gehört, nicht nur in ein Restaurant, einen Club oder auf einen Dorfplatz, auch wenn der Band-Name das nahe legt und die Musiker „musica della strada“ spielen. Aber es war immer so: die echten Musiker sind eigentlich die Strassenmusikanten, die wie Zigeuner bescheiden aber mit Brio auf dem Marktplatz spielen. A propos, eine Geige würde zu der Gruppe wirklich ausgezeichnet passen! (Wer weiß, ob an einem der nächsten Abend nicht einer der Musiker auch zu diesem Instrument greift.)
Wie es offensichtlich ist, war die Rezensentin von dem Konzert der deutsch-italienischen Gruppe begeistert und wird gerne deren Entwicklung weiterfolgen. Weil ich das Potential der Gruppe hoch schätze würde ich mich freuen wenn sie sich weiter entfalten. Aus diesem Grunde hätte ich einige persönliche Ratschläge, die aus meine persönlichen Erfahrung als Musikerin stammen.  
Dass ein  Künstler charismatisch ist, kann auch zweischneidig sein. Die Präsenz von Talent und die seltene Gabe des Charismas, die einen so einfach und ohne große Mühe zum Liebling des Publikums macht, hat manchmal zur Folge, dass diese Künstler oft nicht weiter an ihrem Talent arbeiten und es verkümmern lassen. „Auf dem Lorbeer ruhen“ sagen die Italiener. Das
Ergebnis ist, dass ihre Kunst sich nicht entwickelt, und alles was sich nicht entwickelt, dezendiert irgendwann und stirbt. Viele Künstler, die an ihren Gaben nicht gearbeitet haben, haben karrieremässig nicht das erreicht, was sie könnten, während mittelmäßigere Künstler,
die mehr an sich gearbeiteten haben, lange und fruchtbare Karrieren gemacht haben. Üben macht den Meister, und das bezieht sich auch auf diese Gruppe. Fabiola Schiavulli ist eine talentierte Cantautrice. Sie kann mit dieser Band aber auch solistisch viel mehr erreichen, wenn sie sich ein bisschen mehr mit den Texten und der Musik auseinandersetzt. Leichte Unsicherheiten waren hier und da zu verspüren, die sicher nicht auffällig genug waren um das Publikum zu verlieren,
aber gäbe es diese nicht, könnte diese Formation auch den strengsten Intendanten
überzeugen. Wenn so ein Bühnentalent vorhanden ist, finde ich, dass es sich lohnen würde, ein bisschen mehr Show machen. Vielleicht ein bisschen mehr Theaterspiel zwischen den Musikstücken, das ihre drei Kollegen deutlich mehr miteinbezieht. Und warum nicht neue, lustige, echte Texte bzw. Rollen für alle Beteiligten schreiben, ein bisschen politisch, ein bisschen satirisch, sexy und humorvoll, mehr wie im Kabarett.
Die Künstler der Piazza Grande haben mir gezeigt, dass sie großes Talent für das Improvisieren haben, Einfälle ohne Ende sind da. Also weiter auch auf diese Karte setzen, die Musik ist prima so.
Ach ja, noch eine letzte Bemerkung: Ich würde auch ein bisschen mehr am Image der Gruppe arbeiten. Wenn sie schon Theater machen, warum dann nicht auch „Italienischen Look“ zeigen, ein bisschen Milano-Chic oder sizilianischer Mafia-Auftritt, ein paar Photos oder Bilder im Hintergrund etc. Ich wiederhole, das Potenzial der Gruppe ist enorm, mit ihrer Musik können sie die Abende mit echtem italienischen Geist bereichern. Ich wünsche ihnen Wachstum, stete Inspiration, Leidenschaft, Lust und natürlich auch die verdiente Belohnung: Einen warmen Applaus und ein stets ausverkauftes Haus wie an jenem unvergesslichen Abend Ende Januar in München-Pasing.