Mittwoch, 26. Juni 2013

Bilder in Mondlandschaft ("Trovatore" in der Bayrischen Staatsoper, 27.6.2013)

Das Bühnenbild ist düster, dunkel und ganz geheimnissvoll. Bald versteht der Zuschauer, dass die (dank einer Drehbühne) ständig wechselnde Bilder, wie Träume sind, Bilder der Seele und des Unbewussten, jetzt Alpträume, Erinnerungen an vergangene Traumi, jetzt sehnsuchtsvolle Wünsche. Er hört dann auf, die vernünftige Erklärung für jede Szene zu suchen, und verlässt sie an die Schönheit der Bilder. Wie durch eine Mondlandschaft wehmutig irrt er zusammen mit den Protagonisten. "Il trovatore" von Giuseppe Verdi, diese so romantische Oper, die immer in der Nacht stattfindet, mit ihren komplexen Handlung, Geister, Scheiterhaufen, Zigeuner, Kloster und Troubadoure, fühlt sich wohl in der Bayerischen Staatsoper mit der Regie und das Bühnenbild von Olivier Py. Alles erinnert an Belle Epoque und die Zeiten der Geburt der Psychologie: Symbole, ein Bett in einer psychiatrischen Klinik (oder ist es ein Hotel?), Illusionisten und erste schwarz-weisse Filme. Das ist die Welt der Träume, der Seele, der Nacht und des Mondes. Ja, ein gelungenes ästethisches Projekt ist dieser Trovatore, der die Wichtigkeit an die Figur der Zigeunerin gibt, die Mutter von Azucena, die wie ein Geist, in alle möglichen Incarnationen die Bühne ständig beherrscht. Ob die grauhaarige die von den Soldaten gefoltert wird, oder die junge schwarzhaarige Zingarella die nackt während des Zigeunerchors tanzt (wer war aber die tolle Tänzerin? jeder im Saal würde gerne ihre Hanynummer haben), sie ist die echte Protagonistin dieser Oper, die Verdi in der Zeit geschrieben hat, als die eigene Mutter gestorben ist. Gewidmet an die Mutterfigur!
Der absolute Protagonist der Oper ist tatsächlich die Beziehung der Mutter mit einem Sohn, in einer dunklen und geheimnissvollen Umgebung, wie das Unbewusste ist. Unter dem Zeichen von Krebs also: was für ein angenehme Zufall, dass die Oper im krebsigen Juli aufgeführt wird, und Jonas Kaufmann, Anja Harteros und sogar auch der Olivier Py Juli-Kinder sind!
 die Regie hat mich an das Film"Fantastische Welt von Oz"erinnert
 Eine ganz gelungene Produktion war das, in der die Sterne-Sänger brilliert haben. Obwohl Manrico eigentlich der Protagonist dieser Oper ist, leider ist seine Musik ziemlich undankbar geschrieben. Deshalb werden die Frauen zu Lieblings des Publikums, auch wenn Manrico ein so grosse Sänger ist wie Jonas Kaufmann. Obwohl er ein "ah si ben mio" gesungen hat, das man vorher nie schöner gehört hat, mit langen Frasen und tausend Nuancen, mit seiner so wertvolle Musikalität und Dunkelheit der Stimme, und auch la "pira" ist ihm absolut gelungen, trotzdem war Kaufmann nicht der Stern des Abends. Eine feurige Azucena (Elena Manistina) die mit Präsenz und Stimme die Szenen dominierte, wie ihre Rolle die Seele ihres Sohnes dominiert hat, diese Mezzosopranistin mit der Riesen-Stimme ihre Musik wie eine echte grosse Verdiana gesungen hat, war vielleicht der grosse Stern des Abends, neben der Leonore der Anja Harteros, die edel, intim und mit perfekten stimmlichen Führung die ganze Schönheit ihrer Musik entfalten vermochte. Nicht nur die lyrische Stellen, sondern auch die dramatische sind ihr wunderbar gelungen (obwohl manchmal ihre Dramatik an Klangqualität verliert), und wie schön ist ihr das Personaggio gepasst, das Py für sie erfunden hat. Eine Frau die in der Nacht wandelt, eine Blinde, eine Frau der Gefühle und sehr geheimnissvoll und gelitten. Man spürt Mitgefühl für sie, man liebt sie fast. Sie ist tatsächlich mit einem riesengrossen Applaus beschenkt, und ganz bestimmt hat sie es verdient. Schliesslich der junge Bariton Alexey Markov hat mit frischen Leidenschaft und Engagement seine schwierige Rolle toll gemeistert. Absolut wunderbar.
Azucena wird auf einem Baum gefestigt.
 Eine Sternenbesetzung hat also die Nacht dieser Inszenierung bereichert, und es ist immer eine echte Freude so schön diese Verdi-oper zu erleben. Nämlich es ist immer die Gefahr, dass seine Musik wird schlampig, manieriert und plakativ gespielt, aber das ist nicht der Fall in München. Der Chor und das Orchester der bayerischen Staatsoper haben mit Kraft und auch mit süsse, feine Klänge die Musik zum blühen gebracht, aber der Dirigent Paolo Carignani hat mich nicht so sehr begeistert wie die anderen Teilnehmer dieser Produktion. Glück hatte er, dass alle seine Sänger Primi-Uomini und Prime-Donne sind, und wissen wie man mit einem Dirigent umgeht, der ihre Bedürfnisse nicht versteht, die kein Gefühl für die Stellen hat, wo ein Sänger ein bisschen dehnen möchte wenn er sich wohl fühlt, oder Unterstützung braucht wenn die Frase zu schwierig ist. Manche tempi waren unerklärlich schnell, andere unerklärlich langsam... Gottseidank diese Musiker machen sowieso wunderbare Musik, das kann kein Dirigent kaputtmachen. Trotzdem, es ist schade wenn man eine Musikerin wie die Harteros in Schwierigkeiten mit dem Tempi hört. Das heisst sicherlich nicht, dass sie kein Gefühl für Rythmus hat, oder? Ok, sie hat eine Tendenz zu schleppen, etwas das oft bei schönen Stimmen vorkommt (sie autocelebrieren sich), aber der Dirigent muss wissen, wie man damit umgeht. Eine seine wichtigsten Aufgaben ist den Protaginisten zu helfen (nicht mit denen zu kämpfen), ihr Bestes auf der Bühne zu zeigen, damit die teatralische Illusion perfekt wird. Also wegen Carignani war die Illusion fast (und nicht ganz) perfekt. Aber das ist schon genug. Seit dem gestrigen Abend bin ich in einer träumerischen Landschaft der nächtlichen Bilder, und so werde ich während des ganzen krebsigen Juli bleiben.Wie die blinde, liebende, leidende aber schliesslich selige Leonora.
Sehnsuchtsvolle Träume vom Sex und Liebe für die blinde Leonore

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