Freitag, 21. Juni 2013

"König der Herzen" ossia "Simone Bocccanegra"

Bayerische Staatsoper, Samstag 16.7.2013, G.Verdi: Simone Boccanegra
Dies ist eine der Opern Verdis, die zu seinen Lebzeiten nie den erhofften Erfolg hatte. Er persönlich aber hat diese Oper so geliebt, dass er immer wieder versucht hat, sie entsprechend umzuschreiben, um sie populär zu machen. Erst im späten Lebensalter kreuzt sich sein Schicksalsweg mit dem von Arrigo Boito, einem temperamentvollen, genialen Künstler, der Verdis Hoffnungen wieder beflügelt, den Simone doch noch retten zu können. Mir ist nicht bekannt, was der Librettist daran geändert und was der Komponist, jetzt viel reifer, noch dazu geschrieben hat. Aber man erkennt in manchen Passagen die impressionistischen Klangfarben, die geistige Dimension und Schönheit der späteren Verdi-Werke als auch an vielen Stellen die dunklen Fantasien und Facetten des mefistofelischen Boito. Zum Beispiel dieses so unkonventionelle Finale des ersten Aktes, wo Paolo mit dem rituellen Fluch belegt wird (die Musik erinnert an Falstaff) oder das allerletzte Finale, mit den trauernden Glocken, das an Aida und das "pace imploro" der Amneris erinnert.

Was auch immer geschehen ist; Heute hört man auf den Bühnen eine der schönsten Opern von Verdi, nicht nur musikalisch voll mit wunderschönen Melodien und leidenschaftlichen Ensembles, sondern auch dramaturgisch reich an einigen der schönsten Rollen. "Schönheit" ist das richtige Wort. Umweht von den würzigen Brisen des Ligurischen Meeres (das überall in der Musik zu hören ist) und umstrahlt vom Licht der italienischen Sonne, tritt Simone der Herrscher samt seiner Vergangenheit als rebellischer Korsar an, um über den Frieden und über die Liebe zu singen.

So ging mir während des ganzen Abends "Der König der Herzen" als Titel für diese Rezension im Kopf herum. Der reife Mann, der sich sein ganzes Leben lang von der Liebe inspirieren lässt, der ebenso erfolgreich auf den Meeren der Erde wie auf denen der menschlichen Emotionen zu segeln versteht, seine Sehnsucht nach dem verlorenem Glück (in Gestalt der verlorenen Geliebten und wiedergefundenen Tochter) und der im Alter nur noch nach der Maxime "Frieden über alles" regieren will. Dieser Freigeist, der sich dafür den Hass der "grossväterlichen" Figur des Fiesco zuzieht, des politischen Gegners und Vater der verführten Geliebten Maria, der den Simone wie ein unversöhnlicher Commendatore ständig verfolgt, dieser Simone scheint ein Ideal für Verdi gewesen zu sein, nicht zuletzt, weil (anders als bei Don Giovanni) sein "viva la libertá" nicht von Rücksichtlosigkeit, sondern von einer tiefen Liebe für seine Mitmenschen begleitet wird.

Er wollte offenbar nicht nur seine Italienischen Zeitgenossen dazu inspirieren, einander zu lieben und auch politisch zu vereinen, sondern auch er selbst scheint sich persönlich in dieser Gestalt erkannt zu haben. Warum sonst werden in allen seinen Opern die Baritöne so schön dargestellt, mit solch komplexen Charakteren und schönen Melodien? Doch wohl nur deshalb, weil ihm selbst diese Komplexität der Seele vertraut ist und er auch spürt, dass der historische Moment gekommen ist, da der "Mann", der harte, zu herrschen gewohnte Mann, seine Seele entdeckt, sich damit auseinander zusetzen beginnt und etwas Neues hinzu lernt. Dieses Neue ist die Liebe, die Demut, die Gewaltlosigkeit. Ob es Nabucco ist oder Rigoletto, Simone oder Falstaff, alle seine Baritöne werden mit ihrer eigenen, männlichen Arroganz konfrontiert, um am Ende des Theaterstückes eine Verwandlung zu erfahren und menschlicher zu werden. Und auch heute noch ist der Zuschauer jedesmal tief berührt, so einen hartnäckigen Macho am Ende auf den Knien zu sehen, weinend, süss und weich singend von Liebe und Frieden, von Erbarmen und Vergebung.
Simone Boccanegra ist eine von diesen verdi-typischen Bariton-Rollen, die dem Darsteller ganz viele Möglichkeiten geben, vom Publikum geliebt zu werden.  Er muss nur genau so zu singen, wie es in der Partitur steht (wunderbare lange Frasen, oft mit Pianissimi bereichert) und sich an den Text halten - schon hat er alle Herzen gewonnen.

Meines Erachtens war Zeljko Lucic der ideale Verdi-Bariton, weil er sich mit grosser Liebe und Verständnis der Musik und dem Text der Verdi-Opern näherte. Er liebt Verdi über alles, also es kann es durchaus sein, dass auch Verdi ihn liebt und mit grossem sängerischen Erfolg belohnt. Liebe ist auch Leidenschaft, und die Musik von Verdi ist ohne dargebrachte Leidenschaft nur halb schön. Ich möchte anmerken, dass am Samstag alle, wirklich alle Sänger sehr leidenschaftlich zu Werke gegangen sind. Das hat diesen Abend in einen Sternenabend verwandelt und der Applaus am Ende wollte zu Recht nicht enden. Zeljko Lucic als Boccanegra hat wunderbar gesungen, alle Erwartungen (mit seinen Pianissimi vor allem) reichlich übertroffen, die Stimme ist weich, Nuancenvoll, rund und ziemlich dunkel (aber nicht zu sehr, genauso wie sein Vorbild Capuccili) und offenbar  perfekt mit seiner Seele verknüpft. Er kann einen Zuhörer zum Weinen bringen, aber er selbst weint auch gelegentlich. Ich habe ihn nach der Vorstellung getroffen und er hat es mir gestanden. Ein wunderbarer Künstler. Eines Tages wird er uns auch zum Lachen bringen, vielleicht gar als Falstaff?
Zeljko Lucic und Kristine Opolais

Dass Krasimira Stoyanova erkrankt war und Kristine Opolais für sie eingesprungen ist, war ein glücklicher Zufall. Unter der Regie von Dimitri Tcherniakov, die sehr konsequent in der Dramaturgie wenn auch total modern war, ist die Amelia nämlich eine Emo, eine dieser jugendlichen "Gothics", schwarz geschminkt und bleich im Gesicht, mit sehr komplexer Seele. Da braucht man eine gute Schauspielerin, eine junge Frau, die nicht nur schön, sondern die anders ist. Und genau diesen Typ verkörperte die lettische Sängerin auf ideale Weise. Sie verfügte über grosse szenische Leidenschaft, vielleicht weil sie griechische Vorfahren hat? Sie selbst hat mir stolz von ihrem Grossvater erzählt, der ein Grieche war. Egal, jedenfalls ist sie fähig, mit ihrer Präsenz zu fesseln und uns in die Tiefen der menschlichen (hier der weiblichen) Seele mitzunehmen. Dass ihre Stimme nicht die typische runde weiche (italienische) Stimme ist, also keine echte Verdi-Stimme, stört hier nicht wirklich. Aber im Radio oder in einer Aufnahme würde sie vermutlich nicht wirklich überzeugend klingen. Man muss Kristine Opolais sehen. Sie gehört zu den Künstlerinnen, die man  - wie die Callas - unbedingt live erleben muss um ihr Talent geniessen zu können. Sie ist eine charismatische Sängerin und ich habe mich sehr gefreut, sie auf der Bühne erleben zu dürfen.

Als Tenor (Gabriele Adorno) hat sich am Samstag ein ganz junger, sehr talentierter mexikanische Sänger hervor getan, Arturo Chacon-Cruz, unbekannt, aber erstaunlich gut. Ich hoffe, dass ihn dieser sehr erfolgreiche Abend weiterbringt, weil er das Potential hat, ein wirklich guter Sänger für italienische Opern zu werden. So eine schöne, gut geführte Stimme, so eine echte und nicht manierierte (seltene Gabe also für einen Tenor) Leidenschaft, so jung und modern sein Spielen und obendrein auch noch ein gutaussehender, junger Mann. Bravo! Tatsächlich hat das Münchner Publikum ihn reichlich für seine Leistung belohnt. Hoffenlich kommt er bald wieder um hier zu singen.

Als Fiesco hat der Bass Vitalij Kowaljow versucht, diese wichtige Rolle mit Musikalität zu meistern und ich schätze seine Intention. Aber leider hatte ich den Eindruck, dass hierzu ein reiferer Sänger von Nöten gewesen wäre. Er ist zu jung für solche Rollen. Seine Stimme ist gut, aber er ist innerlich noch nicht reif genug um den Boden zu haben, diesen granitmässigen Vater zu spielen und singen. Er hat versucht, das pianissimi zu machen, aber das reicht nicht, wenn die Stimme nicht im Forte sicher ist. Er hat grosse Möglichkeiten, aber sollte erst in Belcanto und Mozart reifen bevor er Fiesco oder Philipp singt. Alles Gute für deine Zukunft Vitalij!

Im Gegenteil dazu hat mich die Stimme des Paolo schon von den ersten Noten an überrascht. Was für ein toller Bass-Bariton! Grosse und schöne Stimme, wunderbare solide Technik, und dann noch dazu ein grandioser Schauspieler! Seine finale Szene mit dem Fluch war so echt, so fantasievoll! Ich werde seine Laufbahn gern weiter folgen, denn er gehört zum Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Vielleicht gibt man ihm zukünftig grössere Rollen. Wer ist der Mann? Levente Molnár ist sein Name und ich wünsche ihm eine grosse Karriere.

Nach soviel Lob möchte ich nun langsam zum Ende meiner Rezension kommen. Ich habe nichts zu meckern, der Abend war magisch und gelungen und ich habe seinen Einfluss noch tagelang gespürt. Das ist ein Zeichen, dass die Theaterillusion perfekt gewesen und die theatralische Katharsis gelungen ist! Das Orchester und der Chor haben zu diesem grossen Erfolg gut beigetragen. Diese Musiker! Solche Künstler hat sich Verdi immer gewünscht, hochkarätig, diszipliniert, gut. Und solche hat er hier gefunden. Hier verweilt er in diesem Jahr, das seinem Gedenken gewidmet ist. In München natürlich, ganz genau, wo sonst! Vielleicht in einem Biergarten im Schatten einer Kastanie bei einem Glas Rotwein oder einer Mass Bier! Da sitzt er glücklich und zufrieden und wartet mit Vorfreude auf die Premiere des Trovatore, der sicherlich ebenso grossartig wird wie dieser Boccanegra ...

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