Donnerstag, 11. April 2013

Ein Abend im Tempel des Apollo

die Bläser des Orchesters am Ende des Konzerts, in der Mitte Andreas Schablas- Klarinette
Dienstag 9. April 2013, 4es Akademiekonzert in der Bayerischen Staatsoper. Mozart´s Klavierkonzer Nr. 20, d-moll, KV 466 und Mahler´s 7e Symphonie. Rudolf Buchbinder am Klavier, Hanus Tomas dirigierte.




Welch ein Glück für den Münchner Gast, der nach Kultur hungert, nach Spektakel und vor allem nach guter Musik! Das Niveau der Künstler in der bayerischen Metropole erreicht fast die Sterne, und wenn es um Musik geht, erklingen hier beinahe himmlische Pythagoräische Harmonien und eine von Imperfektion befreite Seele. Wenn der Mensch nach Musik hungert, nach Schönheit der Klänge, nach Inspiration, dann braucht er nur über die Schwelle der Münchner Staatsoper zu treten, und er kann sicher sein, dass ihn dort ein berauschendes Erlebnis erwartet. So voll freudiger Erwartung war ich gestern auch, als ich für eine kleine Summe ein Ticket für die Galerie gekauft habe (um dem Vorurteil der „ewigen Nörgler“ entgegen zu treten, dass Konzerte mit Klassischer Musik zu teuer seien). Wie stets, erfasste mich ein beinahe weihevolles Gefühl, als ich an den Spiegeln und den Ölgemälden berühmter Kammersänger vorbei ging, meine Schritte über das Parkett des klassischen Foyers lenkte und die Stufen zu meinem Platz in der ersten Reihe der Galerie empor stieg. Erinnerungen an meine Studienzeit in Wien und in Mailand kamen mir in den Sinn. Damals hörte ich so oft wie möglich in der Galerie alle Opern und Konzerte und erlebte viele große Sänger und Sängerinnen, die meine Träume von musikalischer Perfektion beflügelten und mich in meinem Wunsch bestärkten, es ihnen gleich zu tun. Ich hatte stets die gleichen Genossen in der Galerie, meist Studenten, leidenschaftliche und sachkundige Zuhörer, die es am Ende furchtlos wagten, ein Bravo zu rufen oder auch einmal ein Buh, weil sie mit dem Herzen und geschlossenen Augen bis zur letzten Note zugehört haben.Dieses für eine Galerie typische Publikum habe ich auch gestern um mich gehabt. Während des wunderbaren Konzertes habe ich mich öfter umgesehen nach jenen Menschen, die mit geschlossenen Augen genossen haben, die kurz vor dem großen Crescendo des Orchesters schon zu tanzen begannen, die mitgelebt, mitgeweint und selig mitgelächelt haben. Mein Blick ruhte öfter auf einem blinden Mann hinter mir. Er hatte nur einen Stehplatz, die blicklosen Augen hinter den dunklen Gläsern irgendwo in Richtung Bühne gerichtet, als würde er sehen können, und es war klar, dass er sich voll der Gewalt der Musik hingab. Mozart und vor allem Mahler haben sicherlich seine Sinne berauschen können, aber vielleicht war Mahler für ihn sogar zu gewaltig: Irgendwann nach dem dritten Satz der siebten Symphonie habe ich seinen Platz leer gefunden. Aber bevor ich mich mit der Musik Mahlers befasse, möchte ich über den ersten Teil des Konzertes berichten. Das erste Stück des vierten Akademiekonzertes vom Dienstag, den neunten April 2013, war das Klavierkonzert in D-moll von Mozart, KV 466.Ich kenne mich mit den Köchel-Verzeichnis-Nummern nicht so aus und es ist mir egal, welches Klavierkonzert von Mozart gerade auf dem Programm steht, alle sind wunderschön und alle "Mozart". Obwohl ich sie gut kenne, bin ich immer wieder überrascht wenn ich die eine oder andere berühmte Melodien wieder höre. Mozart hat für das Klavier einige seiner schönsten Kompositionen geschrieben, ein Romantiker, der seiner Zeit deutlich voraus war. Und das Klavierkonzert in D-moll, eines seiner reifen Werke, ist voll mit Dramatik und Leidenschaft, fast „Sturm und Drang“, glänzt aber dann auch wieder mit viel Lyrik und Eleganz, wie z.B. der berühmte zweite Satz, die „Romanze“, (bekannt auch aus der Schlussszene des Films „Amadeus“).Wie schön passend zu dieser Musik des Wahnes, versteckt hinter einer eleganten Klassik, die Beethovenschen Kadenzen! Ich bin mir aber nicht sicher, ob nicht der Solist des Abends, der berühmte Mozart-Interpret Rudolf Buchbinder, diese Kadenzen mit eigenen musikalischen Ideen erweitert hat. Die Klänge erschienen mir allzu modern, und ich war fast sicher, dass es seine eigenen Modifikationen waren, als im dritten Satz eine aus dem Violinkonzert von Mendelsohn bekannte Melodie erklang. Lustig war es, machte Spaß und schenkte Lebenslust, dieser charmante, reife Künstler am Klavier, der so genussvoll sein Haupt in Richtung Orchesters neigte, als würde er es mit seiner ganzen Aura dirigieren wollen. Der charmante Österreicher spielte mit Klasse und Routine. Manchmal hatte ich allerdings das Gefühl, er spiele meinen Lieblingskomponisten vielleicht ein wenig zu laut. Ich habe die Feinheit und Sensibilität einer Michuko Uchida, eines Geza Anda vermisst, aber trotzdem mochte ich Buchbinders elegantes, genussreiches Spiel und ich empfand es als Ehre, dass ich diesen großen Pianisten endlich mal live erleben durfte.
Das Orchester leitete der tschechische Dirigent Hanus Tomas, der einerseits bescheiden, andererseits leidenschaftlich musiziert: Beide Eigenschaften machen aus ihm einen wunderbaren Künstler, der vom Münchner Publikum mit viel Wärme  empfangen wurde. Er ist allerdings noch sehr jung und wird noch reifen müssen. Ich habe nämlich gemerkt, dass das Orchester fast nie auf ihn geschaut hat, was mich überzeugte, dass sie eher aus eigener Erfahrung als unter seiner Leitung gespielt haben. Ok, dieses elitäre Orchester ist so sicher und routiniert, dass es fast keines Dirigenten bedarf. Selten befinden sich auf dem Podium Dirigenten, die mit ihrer Persönlichkeit, ihrem tiefen musikalischen Verständnis und ihrer gereiften Vorstellung von Interpretation dieses Weltklasse- Orchester dominieren können und dem Publikum große Erlebnisse schenken. Hanus Tamas hat die Vorausetzungen, einer von diesen Dirigenten zu werden. Dafür aber sollte er nichts „aus Angst schaffen“ oder zumindest "keine Angst davor haben, auch einmal verflucht zu werden", wenn er „Musik für die Zukunft“ schaffen will, um Verdi zu zitieren, der in seinen Briefen jungen Dirigenten solche Ratschläge erteilte. 
Nach der Pause hat ein riesengroßes Orchester die siebte Symphonie von Gustav Mahler gespielt. Ich habe noch nie so viele Instrumente auf einer Bühne gesehen. Allein die Bläser wären zahlreich genug gewesen, ein eigenes Orchester zu bilden, und waren es nicht sieben oder gar acht Schlagzeuger dahinten, die mit ungewöhnlichsten Glocken und Perkussionsinstrumenten gespielt haben, mit Gongs und vielen Trommeln? Und selbst eine kleine Mandoline und eine Gitarre haben geduldig auf ihren Einsatz gewartet, um im dritten Satz ein Paar Melodien zu spielen. Als ich mich kurz bei „Wikipedia“ darüber schlau gemacht hatte, dass Gustav Mahler diese Symphonie mit Naturklängen füllen wollte, konnte ich mir den Klangreichtum dieses Werkes und den Einsatz der ungewöhnlichen Instrumente erklären ... Dennoch denke ich mir, dass er vielleicht ein bisschen übertrieben hat! Wo findet man so viele Spitzenmusiker und wie viel kostet eine solche Aufführung?! Extrem schwierige Musik, die dieses unwahrscheinlich elitäre Orchester mit göttlicher Präzision gespielt hat. Ich habe jede Minute genossen, auch wenn die Musik mir völlig unbekannt war. Starke Momente haben mich oft überrascht und die Nachtstücke (2. und 4. Teil) haben mich zu Träumereien mit Bildern nächtlicher Landschaften von Berg und Wald verführt. Mahler soll auf der Suche nach Inspiration angeblich Teile dieser Partituren in den Dolomiten komponiert haben. Diese Musik, wie alle Werke Mahlers, ist so „dionysisch“, so sinnlich, aber auch so geistreich und ekstatisch, dass ich mir vorstellen kann, dass Wagner anders über die jüdischen Komponisten gedacht haben würde, hätte er Mahler seinerzeit hören können. Da gibt es so viele Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Komponisten, auch wenn Mahler manchmal morbider klingt. Ich kann also an der Qualität der Aufführung der siebten Symphonie nichts weiter bemängeln als die Tatsache, dass das Orchester an manchen Stellen wirklich viel zu laut gespielt hat. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ziemlich viele Zuschauer noch während der Vorstellung den Saal verlassen haben. Ich hatte das Gefühl, dass mir jeden Moment die Trommelfelle platzen würden! Und ich bin sicher, es lag nicht nur an der Akustik in der Galerie, die berühmt für ihre Perfektion und Fülle ist. Diese Lautstärke kann vielleicht auch der Grund dafür sein, dass die Orchestermitglieder auf mich so frustriert wirkten. Sie haben diese lange, schwierige Symphonie auch am vorigen Tag schon gespielt und es muss ziemlich anstrengend gewesen sein. Ich habe mit Aufmerksamkeit und Neugier jeden einzelnen Musiker beobachtet, um zu sehen, wie sie die Musik spüren, während sie spielen. Ich muss gestehen, die meisten wirkten auf mich wie routinierte Beamte, sie spielten perfekt aber leblos, die Köpfe müde nach unten geneigt, auf das Notenpapier konzentriert ohne ein äußerlich sichtbares Zeichen der Leidenschaft. Gottseidank gibt es immer Ausnahmen, wie zum Beispiel die Erste Klarinette. Ein Musiker, der sein Instrument stets mit derart lebendigen, tanzenden Bewegungen gespielt hat, (er hatte viele Einsätze in diesem Werk, wie übrigens alle Bläser) dass er sofort die Aufmerksamkeit das Publikums auf sich gezogen hat, auch in der Galerie, so hoch und entfernt. Wie sehr hat er seine Musik auch sichtlich körperlich gespürt und wie großzügig hat er dieses leidenschaftliche Empfinden weitergegeben. Mit seinem Kopf und seiner ganzen Haltung nach oben spielend, auch in meine Richtung und die aller anderen Zuhörer auf der Galerie, und für diese Kommunikation bin ihm dankbar. Andreas Schablas lautet der Name dieses Musikers, tatsächlich eine Soloklarinette, wie ich auf der Website der Staatsoper lese. Eins von den schönsten Dingen, die ich in der Opernschule gelernt habe ist, dass man mit dem Kopf stets nach oben, in Richtung des Himmels und auch in Richtung der Galerie singt, für die Fans, die mit solcher Hingabe ins Theater kommen, ohne über viel Geld zu verfügen wie die Herrschaften im Parkett. Ja, für sie und die Engelsscharen singt man, und mit dieser Richtung nach oben hat man auch eine tolle Körperhaltung, wirkt man schöner und lebendiger. Also, meine Damen und Herren des Orchesters der Bayerischen Staatsoper, die ihr so schön spielt dass man euch in der ganzen Welt bewundert: Freut euch ein bisschen sichtbarer über die Schönheit der Musik, die ihr schafft und über das große Glück, das ihr habt, in diesem tollen Theater, mit so tollen Kollegen, so tolle Musik spielen zu dürfen. Für mich war es auf jeden Fall ein unvergessliches Konzert. Danke, München!

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